
Capanna Regina Margherita auf dem Gipfel des Pta. Gnifetti (Signalkuppe), 4554m ü.M., Monte Rosa – die höchstgelegene Hütte Europas
»Denken entstand im Zuge der Befreiung aus der furchtbaren Natur, die am Schluß ganz unterjocht wird.«
(Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung)
»Scarcely anyone at all escapes«
(Oscar Wilde: The soul of man under socialism)
Was ich will…
Mit diesem Blog, der Ende 2021 sein zehnjähriges Bestehen feiert (hier gehts zum Jubiläumsquiz), möchte ich die gesellschaftlichen Bedingungen von Bergsport und anderen Outdoor-Aktivitäten, von Tourismus, Erholungssuche in der Natur sowie Sport allgemein thematisieren und einige ihrer aktuellen, in diesem Kontext relevanten und besonders interessanten Entwicklungen dokumentieren. Dabei leitet mich vor allem die Erkenntnis, dass der Bergsport nur eines unter vielen anderen Feldern ist, in dem sich verschiedene Formen von gesellschaftlichem Bewusstsein begreifen lassen, die man mit Bourdieu als Habitus, mit Marx als Ideologie fassen kann. Diese gilt es zu hinterfragen und darzustellen, dass Bergsport wenngleich nur eine unter vielen Formen von Naturbeherrschung ist, aber doch eine, in der das problematische Verhältnis von Mensch und Natur sich besonders ikonisch darstellt: in der Form des einsamen postfordistischen Abenteurers, der sich auf der Flucht in die Natur ihren Gefahren aussetzt, um diese zu bezwingen, sich selbst an die eigenen Grenze zu bringen (und darüber hinaus) und dabei sich abzuhärten gegen die gesellschaftlichen Zwänge, die »jede Flucht, wie töricht sie auch sein mag« kritisiert (Enzensberger); dabei ferner die eigene Leistungsbereitschaft zu beweisen und nicht zuletzt die eigene Arbeitskraft zu reproduzieren.
Das bedeutet also für mich neben der Arbeit am Begriff auch historische Betrachtungen genauso wie philosophische psychoanalytische Spekulationen anzustellen. Denn die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, ist ein ganzes Reich dunkler Zusammenhänge zu entwirren und zu erhellen, dabei auch Tiefen des menschlichen Denkens und Daseins zu entschleiern: Ich möchte die verschiedenen – bewussten wie unbewussten – Gründe, aus denen es Menschen in und auf die Berge zieht, aufzeigen, denn dadurch ist es möglich, etwas über ihre innere und äußere Natur, aber mehr noch über die “zweite Natur”, die Gesellschaft zu erfahren.
Zu jenen Gründen zählen nicht nur, aber vor allem die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit bzw. nach Natürlichkeit oder dem Naturzustand und auf einer geschichtsphilosophischen Ebene das Verhältnis des Menschen zur Natur als eines der Beherrschung. Naturbeherrschung, die – als sublimierte – auch eine Leistung der Kultur darstellt. Davon nicht zu trennen sind zum einen Mythen und Mystifizierungen, das bedeutet auch: Denk- und Bewusstseinsformen, die ich aufzeigen und – wenn nötig und möglich – dekonstruieren will; zum anderen und wiederum damit zusammenhängend, ökonomische Formen und teils auch ihren Inhalt zu beleuchten. Denn mit dem modernen Bergsport oder allgemeiner gefasst, dem Drang nach draußen, ist untrennbar auch eine Industrie verbunden, die eng mit dem zusammenhängt, was Theodor W. Adorno als Kulturindustrie bezeichnet hat, die Bedürfnisse der Menschen bedient und stimuliert, aber auch weckt, erzeugt. Es geht darum zu schildern, wie in Phänomenen dieses Drangs nach draußen bzw. in die Berge, sich die Dialektik des gesellschaftlichen Naturverhältnisses und damit auch die Dialektik der Aufklärung ausdrückt. Das heißt auch festzustellen, dass niemand sich diesen Verhältnissen entziehen kann, niemand wirklich fliehen kann, um die eingangs angeführten Zitate in ihren Sinnzusammenhang zu rücken.
Der Mensch ist nicht nur gefangen in einem von ihm selbst geschaffenen Verhältnis, sondern in seinem Bewusstsein auch befangen von diesem Zusammenhang, der ihm seine Erkenntnis verhindert und zur Naturbeherrschung geradezu verdammt: »…die Entfremdung von der Natur, die er leistet, vollzieht sich in der Preisgabe an die Natur, mit der er in jedem Abenteuer sich mißt, und ironisch triumphiert die Unerbittliche, der er befiehlt, indem er als Unerbittlicher nach Hause kommt, als Richter und Rächer der Erbe der Gewalten, denen er entrann.«
Dokumentiert werden hier also sowohl aktuelle Entwicklungen wie auch Ausschnitte aus der Geschichte des Alpinismus, um Anstoßpunkte für kritische Reflexion sowohl des eigenen Handelns, als auch ihrer gesellschaftlichen Vermittlung und Bedingtheit zu geben. Dazu wird es vielleicht nötig sein ein »größeres Panorama« darzustellen, das aber aufgrund der Fülle von Geschichte und Geschichten, von Entwicklungen und Aktivitäten, dennoch notwendig nur ausschnitthaft bleiben kann. Dafür kann es möglicherweise schon ausreichend sein Eindrücke aus der »Natur«, Fotos oder Reklame zu dokumentieren, aber es werden auch Textbeiträge und Theorie nötig sein, um die Beziehungen darzustellen und das konkrete Exemplar mit einer allgemeinen Theorie zu vermitteln.
Wer ich bin…
In erster Linie ist von mir zu sagen, dass ich selbst eine große Schwäche für die Berge habe und – selbst Alpinist – mich für Entwicklungen rund um Bergsport, Klettern und Outdoor-Aktivitäten interessiere und damit verbunden selbst viel in den Bergen unterwegs bin.
Ernüchtert von meiner Wahrnehmung der Natur/Berge und des Verhältnisses von Mensch/Gesellschaft zu ihnen und geleitet von obigen Erkenntnissen und Reflexionen, entwickelte sich in mir der Drang diese zu dokumentieren und näher zu beleuchten.
Ich möchte damit vor allem den aus der Reklame bekannten und verbreiteten Bildern von schier grenzenloser Freiheit und Individualität auch einmal die Schattenseiten und die (Ab)Gründe von Bergsteigen und mit ihm verbundenen Phänomenen entgegen- oder zumindest an die Seite stellen, dem Zusammenhang von Verblendung also mit dem Spiegel der Reflexion entgegen wirken…
Ich freue mich über jegliche Zusendungen von Erfahrungsberichten, Fotos, Kritik oder anderen Beiträgen und versuche gerne, diese hier zu verarbeiten.
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