Hörtipp: Die Schattenseiten des Reisens

Auch wenn es nun schon etwas her ist, eine sehr spannende Podiumsdiskussion über die Fallstricke des Tourismus hat der Deutschlandfunk vor zwei Wochen von der Tourismus-Messe ITB in Berlin übertragen. Dabei kamen Tourismus-Experten aus Wissenschaft, Politik und Marketing ins Gespräch über Phänomene wie Over-Tourism, Umweltauswirkungen, und das ewig währende Dilemma, dass alle gerne verreisen, aber niemand Touristen mag. Das bezeichnende Statement einer der Beteiligten, dass man sich über etwas aufrege, wofür man selbst verantwortlich sei, verdeutlicht sehr schön, dass die Widersprüche des Tourismus sich seit seinen Anfängen nicht verändert haben.

Es diskutieren u.a.:

  • Prof. Claudia Brözel, Hochschule für Nachhaltige Entwicklung, Eberswalde
  • Dirk Dunkelberg, Deutscher Tourismusverband
  • Klaus Betz, Reisejournalist und Kritiker
  • Prof. Harald Pechlaner, Lehrstuhl Tourismus, Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt

 

Die Aufzeichnung kann man hier runterladen.

Andy Holzer bei Beckmann

Eine Ausnahme vom allgemeinen Fernseh-Stumpfsinn war am vergangenen Donnerstag die Talkshow Beckmann. Wer sich schon immer gefragt hat, wie der blinde Andy Holzer es schafft, seine Profession auszuüben, d.h. Berge zu besteigen, konnte es in besagter Talkshow erfahren, wo Holzer u.a. darüber Auskunft gab, wie er sich am Berg orientiert. Er erklärte was ihn zu seiner Leidenschaft befähigt und warum er zu der paradox klingenden Auffassung kommt, sich selbst als Sehenden zu begreifen, dem es gelingt ein genauso visuelles Bild zu generieren und im Gedächtnis zu speichern, wie es das eben für einen Sehenden möglich ist. Außerdem sprach er sehr offen über das Thema Angst, die für ihn zwar ein ebenso ständiger Begleiter ist, wie für die meisten anderen Alpinisten auch. Allerdings hätte er einen gewichtigen Vorteil gegenüber Sehenden, weil er viele Gefahren bzw. psychologische Hemmnisse, etwa den fehlenden Boden unter den Füßen, nicht sehen könne. Auch die Tragödie am Everest, bei der im Mai diesen Jahres 16 Sherpas ums Leben kamen wurde thematisiert und Holzer stellte klar, dass die Sherpas keine modernen Sklaven seien, sondern in ihrem Land wohlhabende Leute darstellten, deren Arbeitsbedingungen sich in den letzten Jahren stark verbessert hätten. Den Everest will er in der nächsten Saison erneut angehen.

Warum er das alles macht, darüber erfuhr man in der Sendung leider nicht sehr viel. Es gehe ihm nicht um den Sport oder das Risiko, sogar nicht einmal um die Berge selbst, sondern darum die Welt zu verstehen. Damit ist nun nicht ein logisch-durchdringendes Verstehen gemeint, sondern eines der Sehens, der Anschauung, die bei ihm ja um einen erheblichen Teil reduziert ist. Jedenfalls faszinierte er mit seinen Ausführungen über einige der Erfahrungen, die er in seiner Laufbahn als Alpinist gemacht hat, aber mehr noch vielleicht darüber, wie Erfahrung überhaupt für einen blinden Menschen aussehen und möglich werden kann. Was er schildert, kann sozusagen Augen öffnen. Und warum er sich nicht als benachteiligt empfindet? Er habe noch nie so viele blinde Menschen wie unter den Sehenden getroffen.

 

Wort zum Sonntag #4

#4

Aus dem extremen Alpinismus spricht in manchen Fällen die Verzweiflung, das wusste ich aus eigener Erfahrung. Bergsteigen ist nicht nur Freude und Euphorie. Große Leistungen am Berg sind oft nichts als Flucht vor und Krieg mit sich selbst.

Robert Steiner: Selig, wer in Träumen stirbt

Wort zum Sonntag #3

“Die Definition des Novalis, derzufolge alle Philosophie Heimweh sei, behält recht nur, wenn dies Heimweh nicht im Phantasma eines verlorenen Ältesten aufgeht, sondern die Heimat, Natur selber als das dem Mythos erst Abgezwungene vorstellt. Heimat ist das Entronnensein.”

Horkheimer/Adorno: Dialektik der Aufklärung

Im Radio: Wildnis zwischen Sehnsucht und Wirklichkeit

Gestern habe ich durch Zufall einen großartigen Radio-Beitrag des SWR2 zum Thema “Fluchtpunkt Wildnis” gehört. Auf diesen möchte ich hier kurz hinweisen und einige Ausschnitte wiedergeben, da in dem Feature sehr anschaulich und reflektiert auf den Punkt gebracht wird, was es mit der Wildnis und dem “Wille zum Naturerlebnis zwischen Sehnsucht und Wirklichkeit” auf sich hat.

Zu Beginn stellt der Autor Gerhard Fitzthum fest, dass es sich beim Naturverhältnis um ein dialektisches Verhältnis handeln muss und die Frage wird gestellt, ob der Begriff der Wildnis überhaupt noch einen realen Gegenstand hat.

»Wo sollte man heute noch gänzlich unbeeinflusste oder gar unberührte Natur finden, in einer Zeit, in der selbst der Erdorbit voll ist mit  Satelliten und Weltraumschrott, in einer Zeit, in der es keinen noch so abgelegenen Teil des Ozeans gibt, der nicht mit Schwermetallen belastet und halbwegs leergefischt ist, in einer Zeit, in der auch die höchsten Alpen gipfel mit Lawinenverbauungen, Stromleitungen und Liftkabeln überzogen sind? Ist Wildnis nicht längst zu einem Phantasma geworden? Bringen wir sie nicht gleichsam in unserem Reisegepäck mit – als Sehnsucht und Vorstellung?«

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Wort zum Sonntag #2

Weil zur Zeit außer dem üblichen Winterbergsteigen (in aktuell verwegenster Form am Nanga Parbat) nichts passiert, hier wieder ein Bisschen Lyrik, ein Auszug aus dem unendlichen Gedicht “Die Alpen”, Albrecht von Haller, 1729:

Verblendte Sterbliche! die, bis zum nahen Grabe,
Geiz, Ehr und Wollust stets an eitlen Hamen hält,
Die ihr der kurzen Zeit genau gezählte Gabe
Mit immer neuer Sorg und leerer Müh vergällt,
Die ihr das stille Glück des Mittelstands verschmähet
Und mehr vom Schicksal heischt als die Natur von euch,
Die ihr zur Notdurft macht, worum nur Torheit flehet:
O glaubts, kein Stern macht froh, kein Schmuck von Perlen reich!
Seht ein verachtet Volk zur Müh und Armut lachen,
Die mäßige Natur allein kann glücklich machen.

Das vollständige Gedicht findet man u.a. hier: http://gedichte.xbib.de/Haller_gedicht_104.+Die+Alpen.htm

Zum 13. Februar: Richard Wagner

Richard_Wagner_by_Caesar_Willich_ca_1862Da Richard Wagner durch das „Wagner-Jahr“ 2013 ja quasi das ganze Jahr über Konjunktur hat und morgen sein 130. Todestag ist, erscheint hier Wagner selbst, wie er 1852 nicht nur seiner Enttäuschung nach den erfolglosen revolutionären Bestrebungen dieser Zeit, sondern im Grunde seinem gesamten, im Vernichtungsantisemitismus gipfelnden Denken Ausdruck verleiht (Dies auch als Vorgeschmack auf einen Text, der hier und evtl. auch noch anderswo im Laufe des Frühjahrs erscheinen wird):

»Meine ganze Politik ist nichts weiter mehr als der blutigste Haß unsrer ganzen Zivilisation, Verachtung alles dessen, was ihr entsprießt und Sehnsucht nach der Natur. […] Daß ich je etwas auf die Arbeiter, als Arbeiter, gab, muß ich jetzt empfindlich büßen: mit ihrem Arbeitergeschrei sind sie die elendsten Sklaven, die jeder in die Tasche stecken kann, der ihnen heute recht viel ‘Arbeit’ verspricht. In allem wurzelt bei uns der Knechtssinn: daß wir Menschen sind, weiß keiner in Frankreich, außer höchstens etwa Proudhon – und auch der nur unklar! – im ganzen Europa sind mir die Hunde lieber als diese hündischen Menschen. An einer Zukunft verzweifle ich dennoch nicht; nur die furchtbarste und zerstörendste Revolution kann aus unsern zivilisierten Bestien wieder ‘Menschen’ machen.« (1)

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