Rückblick 2012 – Teil 1: “Quo CLIMBis?”

Wie angekündigt beginne ich das neue Jahr mit einem kleinen Rückblick auf das Jahr 2012. Für mich sind ja nun weniger konkrete Expeditionen, Gipfelerfolge, Tourenberichte – seien es eigene oder die von anderen – interessant, und schon gar nicht Berichte über irgendwelche Bergregionen, in denen man besonders gut wandern oder klettern kann, sondern mich interessieren vielmehr Medien, Geschichten und Ereignisse, in/bei denen sich Menschen über die Natur oder die Berge bzw. ihr Verhältnis zu ihnen äußern. Deshalb wird der International Mountain Summit (IMS), der im Oktober 2012 in Brixen zum vierten Mal stattfand relativ viel Raum in diesem Rückblick einnehmen. Der Gipfel versammelte wieder einige Größen der Bergsport-Szene sowie ein sehr unterschiedlich großes (Fach-)Publikum, um aktuelle und wichtige Themen zu diskutieren, ins Gespräch zu kommen und ein gutes Maß sich selbst zu feiern. Deshalb also eine etwas verspätete Nachlese.

Doch zunächst ist zu erwähnen, dass im April  2012 in Reinhold Messners Berg-Museum in Schloss Firmian unter eben seiner Schirmherrschaft und unterstützt durch den IMS ein äußerst bemerkenswertes und man könnte wohl auch sagen: exquisites Treffen von Spitzenalpinisten und JournalistInnen unter dem Motto “Quo CLIMBis?” stattfand, bei dem es darum ging die Zukunft des Alpinismus zu diskutieren. Zu Gast waren u.a. bekannte Bergsteiger wie Hanspeter Eisendle, Roger Schäli und Hervé Barmasse.
Seine Position hat Messner für Lesefaule extra zusammengefasst und man kann sie sich hier anhören. Auf der Tagung übte Messner als Moderator (und offenbar gleichzeitiger Referent) scharfe Kritik an den Alpenvereinen. Sie hätten unermüdlich die Erschließung der Alpen vorangetrieben, zudem sprach er erneut die nationalsozialistische Vergangenheit des DAV an, als dieser Juden den Zugang zu seinen Hütten verwehrt hat, der Verein sei ein “Meister des Aussperrens”. (1) Außerdem kritisierte er den Everest-Tourismus, der 2012 tatsächlich bisher nie dagewesene Ausmaße annahm und – als hätte er es geahnt – katastrophale Folgen zeitigte, worauf ich im nächsten Artikel noch eingehen werde. Messner sprach in diesem Zusammenhang auch von “parasitärem Alpinismus”. Das Fazit dieser Tagung lässt sich wohl wie folgt zusammenfassen: “Der Berg muss wild bleiben”. (2) 408px-Reinhold_Messner_in_Koeln_2009

So richtig seine Kritik und seine Analyse der von mir bereits angesprochenen, widersprüchlichen Politik des DAV ist, so gravierend falsch ist sein Verständnis von Alpinismus. Dieser fange an, wo der Tourimus aufhöre. Messner beklagt genau wie seine zur Tagung geladenen Freunde die Bannung der Gefahren und die Zerstörung der Wildnis in den Alpen wie in den Bergen schlechthin.

Die online-Ausgabe von ALPIN fasst Messners Differenzierung wie folgt zusammen:

“Der Berg wird mehr konsumiert als früher. Tourismus ist die Basis unserer Existenz, der Infrastruktur, Mobilität und Sicherheit bietet [sic], aber es muss auch Raum für den Alpinismus geben. Der Unterschied ist: Im Tourismus trägt jemand anders die Verantwortung, ein Veranstalter oder Investor; im Alpinismus liegt die Verantwortung nur beim Bergsteiger, da gibt es keinen Verantwortlichen außerhalb der Seilschaft. Denn Bergsteigen ist die Kunst des Überlebens.” (3)

Was seine Gäste zu sagen hatten ist wahrscheinlich nicht unbedingt relevant und wohl auch nicht sehr davon verschieden; die wichtigsten Thesen lassen sich auch bei ALPIN nachlesen.

Er sitzt dabei jedenfalls einem zutiefst falschen, da unhistorischen und stilisierten Bild des Alpinismus auf. Denn der war schon seit jeher die Speerspitze des Tourismus. Nicht umsonst wurden und werden die Pioniere des Alpinismus in der Historiographie als Touristen bezeichnet, so etwa auch von Historiker Karl Ziak in seiner „Weltgeschichte des Alpinismus”. (4) Seit Beginn der Aufklärung waren neben einigen verwegenen Forschern – oftmals  selbst Bergtouristen – sie diejenigen, die die Eroberung der Alpen und das heißt, ihrer Berggipfel wie die Erschließung ihrer Täler vorantrieben, mit dem Bau von Schutzhütten begannen, neue Wege anlegten, Bilder und Geschichten mit nach Hause in die Täler und ins Flachland brachten, dadurch auch mit den gängigen Mythen von Drachen und ähnlichem Ungetier aufräumten, die Berge für größere Kreise interessant machten und den Alpen-Tourismus somit in die Wege leiteten. Auch Hans Magnus Enzensberger fiel in seiner Theorie des Tourismus auf, dass der beginnende Alpinismus die romantische Ideologie des Tourismus in besonderer Reinheit verkörpert: „Er richtet sich auf das »Elementare«, das »Unberührte«, das »Abenteuer«“. (5) Aber man braucht nicht einmal in die Geschichte zu sehen. Völlig eigenverantwortlicher Individual-Tourismus ist so beliebt wie nie, scheint jedoch für Messner auch nicht unter Tourimus zu fallen. Ebenso spielen die Motive bei ihm keine Rolle, und die sind in Alpinimus wie in Tourismus weitgehend gleich. Es steht die Frage im Raum, wo denn diese Grenze genau verläuft, die ihm zufolge den Alpinismus vom Tourismus trennen soll, denn der Ort, an dem die Verantwortung liegt, ist es sicher nicht.

“Die Wildnis ist die Grenze”, meint Reinhold Messner weiter. “Die Angst treibt die meisten aus der Wildnis.” Die Neue Zürcher Zeitung nimmt ebenfalls Bezug auf das Alpinisten-Treffen: “Diese Grenze dürfe jeder überschreiten, aber niemand habe das Recht, die Wildnis zu verändern” zitiert sie Messner, und fragt weiter: “Bedeutet dies, dass nur eine bestimmte Elite in die Wildnis darf? Wer aber definiert diese Elite?” Die Antwort des als Anarcho-Intellektuellen bezeichneten Hanspeter Eisendle darauf lautet, “der Berg selbst, die Schwierigkeit des Berges definiert, wer die Elite ist” und spricht aus, wer sich da in Firmian getroffen hat und sich bzw. die eigene Spielwiese in Gefahr sieht: die Elite des Alpinismus. Und was nun diese Wildnis/Spielwiese ist und worum es geht, erklärte ein anderer von der elitären Clique: “Da zu sein, wo niemand vorher war, das ist etwas wunderbares.” (6)

Dass das Unberührte, einmal berührt, nicht länger das Unberührte ist, es folglich logischerweise irgendwann kein Unberührtes mehr gibt, dürfte jedoch auch Reinhold Messner einleuchten – er selbst stellte in seiner Eröffnungsrede fest, der Eroberungsalpinismus sei abgeschlossen. Genauso dürfte einleuchten, dass, etwas neues, wildes, nie zuvor gewagtes zu (ver)suchen und nie betretenes Gelände zu begehen, in den Alpen immer schwieriger wird – die sehr lesenswerte und oft amüsante Rubrik “spitz & breit” im Panorama (7) gibt aufschlussreich und zur Genüge Auskunft über den Einfallsreichtum und die Kreativität, die Menschen an den Tag legen, um neue Grenzen zum überschreiten zu suchen, um alte Rekorde brechen und neue aufstellen zu können, wenn auch das Schema dabei immer das gleiche bleibt. Die seven summits z.B., also die jeweils höchsten Berge aller 7 Kontinente sind mittlerweile nur noch etwas für besonders eilte Reiche, die Profis versuchen sich nun an den second seven summits oder gar third seven summit, den zweit- bzw. dritthöchsten Gipfeln aller Kontinente, so etwa der nicht ganz erfolgreiche Hans Kammerlander.
Messner würde sicher auch mit Chris Bonnington und seinem Postulat “Exploration is at the very core of this game of climbing” (8) übereinstimmen – und darin fehlgehen. Wenn es um die Zukunft des Alpinismus geht, ist scheinbar das Thema der Grenzen und ihrer ständigen Überschreitung und Verschiebung so zentral, wie es eigentlich abgekaut ist. Denn es wurde schon genug dazu gesagt – allerdings auch sehr schöne Dinge, etwa von Catherine Destivelle und Ricardo Cassin, erstere z.B., “the future possibilities for climbing: harder, faster, with more constraints or rules, and with more risks. […] I am convinced that the coming generations will find ways of expressing themselves, even if the world changes. Already we have fewer opportunities to explore than did our predecessors, and those who follow will have even fewer. I’m not of the lamenting sort; each generation finds its own path.” (9) Und, um einen Bogen zu Magdalena Neuner und ihrem frühzeitigen Karriere-Ende zu schlagen, den Destivelle, nicht ganz so früh, aber aus ebenso vernünftigen Gründen getan hat – anders als viele, die nicht rechtzeitig den Ausstieg aus der Risiko-Spirale geschafft haben: “For me, risk-taking has a limit; I’m not a follower of Russian Roulette, even in a disguised form. Maybe that will be the game in the years to come, and in that case the possibilities are endless. What I do know is that it’s not my game, and I don’t want it to be my child’s game either.”
Ricardo Cassin dazu: “The future of mountain climbing is not in danger. The Alps, like all the mountains in the world, will always have something new to offer beacuse we are the creators of our continuous interest in them. Inclined by nature to new conquests, we will always find new ways to express ourselves in harmony with the period in which we live in. This inclination is accompanied by our search for experiences that are deep and unforgettable.” (10) Das Thema der Grenzen – und dafür steht der selbsternannte Grenzgänger Reinhold Messner in persona – ist so ein wichtiges, aufgrund einer dem Bergsteigen und seines gesellschaftlichen Kontextes immanenten Logik, auf die ich zwar nicht hier und jetzt, aber sicher zu einem späteren Zeitpunkt näher eingehen werde.

Fortsetzung folgt…

Fußnoten:
(1) Der Eklat zwischen Messner und dem DAV hält schon länger an. 2001 begann der Streit wegen Meinungsverschiedenheiten zwischen Reinhold Messner einerseits und anderen damals beteiligten Bergsteigern und dem DAV andererseits über die Nanga Parbat-Expedition 1970, bei der Messners Bruder Günther ums Leben kam.
In Zeitungsartikeln hatte Messner dann die nationalsozialistische Vergangenheit des DAV thematisiert, diesem ein “totalitäres Vereinsverständnis” vorgeworfen.
2009 hatte der DAV dann allen seinen 354 Sektionen die Empfehlung ausgresprochen, Messner nicht mehr als Redner einzuladen. (Vgl. Artikel im Panorama 4/2009 )

(2) zit. n.: Reinhold Messner, “parasitärer Alpinismus” im “als ob Gefahrenraum” und ein kontroverses Treffen mit Spitzenalpinisten im Messner Mountain Museum Firmian

(3) Messner und Freunde: “Der Berg muss wild bleiben!”

(4) Karl Ziak: Der Mensch und die Berge. Eine Weltgeschichte des Alpinismus.

(5) Hans Magnus Enzensberger: Eine Theorie des Tourismus, 1958. In: Einzelheiten I. Bewußtseinsindustrie. Frankfurt am Main, 1962. S. 192

(6) NZZ, 22.06.12: Die Wildnis ist die Grenze

(7) Beispiel aus Heft 05/2012, S. 11/12

(8) Chris Bonnington: Exploration, the core of climbing. In: John Amatt & Bernadette MacDonald (Hrsg.): Voices from the summit. The World’s Great Mountaineers on the Future of Climbing. National Geographic, 2000. S. 161

(9) ebd., S. 132/133

(10) ebd., S. 139

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