Rückblick 2012 – Teil 3: IMS (#1)

Der IMS 2012 selbst, war inhaltlich, meiner Meinung nach, nur mäßig ergiebig, gleichwohl teils sehr interessant und mehr noch amüsant. So gab es z.B. ein sehr prominent und unterhaltsam besetztes Podium zum Thema Scheitern und Misserfolg in den Bergen wie in der Wirtschaft. Reinhold Messner referierte spannend über Misserfolge der Welt-Abenteurer-Geschichte, um letzlich in Beschimpfungen gegen ein Südtiroler Medienmonopol abzugleiten, Ex-Ski-Abfahrer Marc Girardelli sprach äußerst aufschlussreich von seinen sportlichen wie wirtschaftlichen Misserfolgen und wie er danach bzw. mitunter auch dadurch wieder Auftrieb fand, und Achttausender-Queen Edurne Pasaban inspirierte mit ihren Erfahrungen aus misglückten Expeditionen.
Die einzelnen Vorträge kann man sich hier anhören.

Ein anderer interessanter Kongress hatte zum Thema “Die Freiheit in den Bergen – die Freiheit der eigenen Entscheidungen” und sollte um das Themenfeld Bergsteigen und Gesellschaft, individuelle Freiheit und Sicherheit kreisen.
Der Moderator Alessandro Gogna, stellte in seiner Einleitung die Frage, ob das Bergfieber, das viele Alpinisten verfolgt, tatsächlich eine Form von Oswald Oelz beim IMS 2012 (www.airfreshing.com)Freiheit, sondern nicht viel mehr eigentlich eine Form von Gefangenschaft ist. Er charakterisiert moderne Gesellschaften als “Sicherheitsgesellschaften”, attestiert ihnen sogar, es werde in ihnen Sicherheit durch Gesetze aufgezwungen. Das schlägt sich auch in der Bergwelt nieder. So werden in Italien aktuell Pläne diskutiert, wonach auf Ski-Pisten Ausweise verlangt werden sollten, die das Können der Ski-Fahrer bestätigten. Eine andere aktuelle Entwicklung, die der Thematik in gewissem Sinne zugrunde liegt, ist eine längere Debatte in Südtirol über rechtliche Belange des Winter- bzw. Bergsports und eine Verschärfung der gesetzlichen Lage beim Verursachen von Lawinen.(1)

Leider waren die Vorträge des Anthropologen und ehemaligem CAI-Präsidenten Hannibale Salsa, des Philosophen Giulio Giorello und zweier Rechtswissenschaftler eher unergiebig; der deutschen Synchron-Übersetzung war aber zugegebenermaßen auch nur schwierig zu folgen.

Ein wesentlich interessanterer Vortrag, und wahrscheinlich der hörenswerteste überhaupt auf diesem Kongress wurde dann aber von dem bekannten Extrembergsteiger und Arzt Oswald Oelz in deutscher Sprache gehalten.
Zwar teils etwas verworren und sehr emotional, wetterte er knallhart und sehr polemisch gegen verschiedenste Formen des modernen Bergsports, sprach dabei gar von Terror, etwa dem Terror des Tourismus, der Massen, ja, sogar der eigenen Ambitionen – eine wichtige Beobachtung einer Einstellung, die wohl bei den meisten Bergsteiger_innen zu finden ist, nämlich die fatale Unstillbarkeit eines Durstes nach mehr oder mit anderen Worten, die Schwierigkeit eine Grenze zu finden.
Zuvor gab er allerdings zu, lange Zeit davon überzeugt gewesen zu sein, dass Alpinismus gleichbedeutend mit Freiheit sei, worüber ihm aber immer mehr Zweifel gekommen seien. Zwar gab es immer einige “Anarchisten” unter den Bergsteigern, die sich über Regeln meist hinweggesetzt haben. Darunter zählte er etwa Hermann Buhl und Reinhard Karl oder – geradezu unvermeidlich: Reinhold Messner, der sich an Hölderlin orientierte in seiner “Freiheit aufzubrechen wohin er will”(1). Er lieferte daher vorab eine kurze Geschichte des Bergsteigens, eine Geschichte nicht der Freiheit, sondern der Knechtschaft, wie er sie bezeichnete. Ein Seitenhieb galt noch der “Käfighaltung” in der Hörnli-Hütte am Matterhorn, wo die Türe nachts abgesperrt wird und in geregelten Zeiten schubweise und je nach Nationalität (die Schweizer zuerst) hinausgelassen werden.

Er zeigte auf, dass Alpinisten bis in die 1970er Jahre in der Regel die Berge nicht als Ausdruck von eigener Freiheit bestiegen, sondern einer höheren Instanz oder Idee folgend, der sie sich verpflichtet fühlten, sei es ein Führer, ein Lehnsherr, ein Kaiser oder schlicht die Nation. Er nennt dafür einige prominente Beispiele, etwa Ludwig Purtscheller, der als erster den Kilimandscharo bestieg und das für den Kaiser tat, den Berg dann auch nach ihm benannte; er nennt den Wettlauf der Briten mit den anderen Nationen um das Erreichen  des “Dritten Pols” Mount Everest. »Und dann kamen die Deutschen« folgert er treffend, bezieht sich v.a. auf den “Schicksalsberg” Nanga Parbat, an dem die Deutschen gekämpft und hohen Tribut zu zollen hatten, sowie die Eiger-Nordwand- Durchsteiger Kasparek (wurde vom Kommunisten zum Nazi), Harrer (war ohnehin Nazi), Wörg (in den ersten Kriegstagen gefallen) und Anderl Heckmair, den er zwar eher zurecht als Bergvagabund bezeichnete, der dann aber auch bei einer neutralen Haltung blieb. Er nennt außerdem Maurice Herzog, der erste, der mit dem Berg Annapurna einen Achttausender bestieg und zwar für die Ehre Frankreichs. Eine kleine Anmerkung: Herzog verstarb im Dezember 2012 im Alter von 93 Jahren.

Es sei dann Reinhold Messner gewesen, der mit diesem Unfug aufgehört habe, als er 1978 vom Everest nach Südtirol zurückkehrte und auf die Frage des Landeshauptmanns danach, ob er denn auch die Südtiroler Fahne auf dem Gipfel gehisst habe, antwortete: »Mein Taschentuch ist meine Fahne«.
Dann holte Oelz mit seiner Kritik gegen fast den gesamten zeitgenössischen Alpinismus und die “Terrornetze” der modernen Gesellschaft aus, gegen den Sicherheitswahn und den Massentourismus, gegen die gängige Selbstvermarktung der Spitzenbergsteiger als “wandelnden Litfasssäulen” und “Wand-bloggern”, die Überwachungsbestrebungen der Alpenvereine, die er als “Sporthallenvereine” bezeichnet und die Routensanierer, die in den Alpen ein Disneyland kreieren wollen.

Oelz fordert, dass die Leute sich einem Riskio aussetzen dürfen müssen und zieht dabei Benjamin Franklin zu Rate, der sagte, »wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren«.

Gegen Ende ging er noch auf das Katastrophenjahr 1996 am Everest und die Ereignisse vom Mai des letzten Jahres ein, beklagte, dass der Everest zu einem Katalogartikel geworden sei und den Verlust von individueller Freiheit, um dann mit einer Kritik an der Knechtschaft der Sponsoren, der Fixierung auf Rekorde und am fehlenden Geschichtsbewusstsein in den Bergsteiger-Medien zu einem ersten Fazit zu gelangen: selbst wenn man keiner dieser Knechtschaften erliegt, sei man doch nicht frei, da, wie oben schon kurz erwähnt, die eigenen Ambitionen und der innere Antrieb einen dennoch unfrei machten. So bringt er ein Beispiel aus seiner eigenen Karriere: nachdem er und seine Seilschaft den Walker-Pfeiler (der Grandes Jorasses) in 8 Stunden geklettert hatten, kam ihm als erstes die Frage: »Was machen wir jetzt?«

»Wer an die Freiheit des menschlichen Willens glaubt – und ich sage Ihnen, das ist eine Illusion -, der hat noch nie geliebt und noch nie gehasst. Und nachdem wir nun dieses Bergsteigen so lieben, sind wir nicht ganz frei, sondern wir machen es weiterhin und wir laufen natürlich dabei auch um die Wette.«

Er betont schließlich mit Hanspeter Eisendle das Anarchische, Wilde im Alpinismus und zititert als Schlusswort Reinhard Karl, die Tatsache betreffend, »dass wir nie ganz frei sein werden«:

»Wenn Du nach oben steigen willst, wird das Haus zum Gefängnis.
Die Unsichtbaren Gitterstäbe heißen Ehrgeiz.
Erst nach dem Gipfel wirst Du wieder frei.« (3)

Aber, wohl auf dem Everest erkennend und von psychoanalytisch tiefreichender Dimension:

»Ich ahne, dass auch der Everest nur ein Vorgipfel ist, den wirklichen Gipfel werde ich nie erreichen.« (4)

Eine kleine Anmerkung: Reinhard Karl, der erste Begeher einer Fels-Route im siebenten Grad (die “Pumprisse” in der Fleischbank Südostwand), verunglückte 1982 am Cho Oyu tödlich. Ein ganz lesenswerter Artikel über ihn findet sich hier.

Im Zweiten Teil des Kongresses bemerkt Alessandro Gogna dann Werner Zanotti einleitend, dass sich – entgegen der von mir schon im letzten Artikel erwähnten Vorstellung von Reinhold Messner – Tourismus und Alpinismus nicht nur ähneln, sondern auch irgendwie zusammenhängen und überschneiden.
Zanotti, der dann über Tourismus spricht, geht auf diesen Zusammanhang allerdings nur wenig ein, er beschränkt sich darauf zu festzuhalten, dass Tourismus auch eine Art von Freiheit darstellt, was bei ihm allerdings lediglich die Freiheit bedeutet zwischen verschiedenen Angeboten und Informationen auswählen zu dürfen, und dabei am Ende vielleicht sogar ein kleines Abenteuer erleben zu können.

Maurizio Dalla Libera, der als Vertreter alpinistischer Schulen des italienischen Alpenvereins auftrat, sprach als einziger die Problematik an, dass viele Menschen unvorbereitet in die Berge gehen und sich dann auf die immernoch letzte Möglichkeit der Bergrettung verlassen.

Der Südtiroler Bergrettungsarzt Herrmann Brugger greift diese Problematik wieder auf. Er kommt nach der Aufzählung einiger Unfälle bei denen die Bergretter_innen selbst ums Leben kamen zu einer Infragestellung der Bergrettungseinsätze überhaupt und zu der Forderung, wer Risiko eingeht müsse auch mit den Konsequenzen leben. Es gäbe keinen Anspruch auf Rettung und Freiheit ohne Grenzen sei auch in den Bergen nicht möglich.

Gogna stellt daraufhin fest, dass einerseits das Risiko in den Bergen gesucht und gebraucht wird, um Erfüllung zu finden, andererseits das Risiko durch die Technik minimiert wird; dass die Möglichkeiten der Entfaltung durch den Sport in der Natur größer werden, der Sport dadurch aber auch immer extremer wird. Freiheit bedeute aber auch, verzichten zu können, d.h. von einer Tour, einer Begehung etc. abzusehen, sei es, wenn die Umstände zu widrig sind oder weil man dem Drang widerstehen möchte – ein Aspekt von Freiheit, der oftmals nicht bedacht werde. Damit kehrt er den Dualismus von Freiheit und Zwang sogar um – ohne dies genau zu explizieren: Freiheit vom Zwang, in und auf die Berge gehen zu müssen, womit er auf den Punkt rekurriert, den Oelz am Ende seines Vortrages schon ansprach. Ein interessanter Aspekt, dem in der folgenden Diskussion leider nicht mehr so richtig nachgegangen wird.

Ein Bergführer aus Triest vertrat dann noch in der Diskussion eine äußerst bemerkenswerte und, wie auch Gogna fand, sehr leidenschaftliche Philosophie. Er betrachtete Alpinismus als eine Kunst, bei der der Künstler seine Emotionen, seine Liebe zu den Bergen zum Ausruck bringt und sprach sich für einen neuen Zugang zu und Umgang mit den Bergen aus. “Wir brauchen keine Regeln, wir brauchen eine Kultur”, lautete sein Statement.

Der Grundtenor der ganzen Gesprächsrunde dürfte sich wohl in Form folgender Allgemeinplätze formulieren lassen: Freiheit ist eine grundsätzliche und unerlässliche Eigenschaft des Menschen bzw. seiner gesellschaftlichen Bestimmung, wichtig ist dafür aber die Möglichkeit, Risiko und Abenteuer suchen und darin Vergnügen und Freiheit finden zu können. Ebenso unerlässlich ist aber dabei ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Risiko, zu viel Sicherheit, v.a. gesellschaftlich verordnete Sicherheit gefährdet die Freiheit.

Die einzelnen Vorträge kann man sich hier, bislang aber leider nur auf italienisch anhören. Wer jedoch beim IMS-Team nett nachfragt, bekommt vielleicht auch die Aufnahmen der deutschen Synchron-Übersetzung zur Verfügung gestellt.

(1) Vgl. etwa: http://tirv1.orf.at/stories/421721
http://www.alpenverein.it/de/alpenverein/ergebnissprotokoll-des-eurac-workshops-juridische-aspekte-von-lawinenausl%C3%B6sungen-7_142277.html
http://www.provinz.bz.it/zivilschutz/service/news.asp?aktuelles_action=4&aktuelles_article_id=408283

(2) »Größeres wolltest auch du, aber die Liebe zwingt / All uns nieder, das Leid beuget gewaltiger, / Doch es kehret umsonst nicht / Unser Bogen, woher er kommt. / Aufwärts oder hinab ! herrschet in heil`ger Nacht, / Wo die stumme Natur werdende Tage sinnt, / herrscht im schiefesten Orkus / Nicht ein Grades, ein Recht noch auch ? / Dies erfuhr ich. Denn nie, sterblichen Meistern gleich, / Habt ihr Himmlischen, ihr Alleserhaltenden, / Daß ich wüßte, mit Vorsicht, / mich des ebenen Pfads geführt. / Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen, / Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern’, / Und verstehe die Freiheit, / Aufzubrechen, wohin er will.«           Friedrich Hölderlin, Lebenslauf

(3) Vgl. die Notiz des britischen Bergsteiger-Pioniers John Tyndall in Bezug auf die allgemein viel üblichere Wahrnehmung der Einengung des Denkens und dem Ausbruch in die Freiheit der Berge: »…when the mind has grown too large for its mansion, it often finds difficulty in breaking down the walls of what has become its prison instead of its home.«                 Zit. n. Fergus Fleming, Killing Dragons, London, 2000, S. 179

(4) Psychoanalytisch tiefreichend, weil das Zitat an Freuds Theorie über Wiederholungszwang und Todestrieb erinnert: »Der konservativen Natur der Triebe widerspräche es, wenn das Ziel des Lebens ein noch nie zuvor erreichter Zustand wäre. Es muß vielmehr ein alter, ein Ausgangszustand sein, den das Lebende einmal verlassen hat, und zu dem es über alle Umwege der Entwicklung zurückstrebt. Wenn wir es als ausnahmslose Erfahrung annehmen dürfen, daß alles Lebende aus inneren Gründen stirbt, ins Anorganische zurückkehrt, so können wir nur sagen: Das Ziel alles Lebens ist der Tod, und zurückgreifend: Das Leblose war früher da als das Lebende.«            Sigmund Freud, Jenseits des Lustprinzips, Gesammelte Werke Bd. 13, S. 40

2 thoughts on “Rückblick 2012 – Teil 3: IMS (#1)

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