Über Klettern, Natur und die Outdoor-/Auto-Industrie.

Klettern boomt wie noch nie. Warum ist das so? Und ist das nur ein kurzlebiger Trend? Oder ein nicht mehr wegzudenkender Teil unserer Freizeit?

Lang und breit wurde bereits in verschiedensten Medien darüber berichtet. Ein weiterer Beitrag zu dem Thema kann aber trotzdem nicht schaden. Denn dem Sachverhalt wird meist nicht so richtig auf den Grund gegangen…

»Ist der Outdoor-Boom eine „Blase“?« fragte etwa auch Klaus Haselböck im Outdoor-Magazin „Land der Berge“, deren Chefredakteur er ist, in Ausgabe 5/2012, relativiert aber sofort wieder mit unübertroffenem ökonomischen Sachverstand: »Das Interesse an „Natursportarten“ wie Klettern, Wandern oder Trailrunning ist weiter überproportional steigend und der Imagewert dieser einst elitären Nische wächst und wächst. Zudem wird in wirtschaftlich durchzogenen Zeiten [?] vor allem das, was man vor Ort mit dem Mountainbike, zu Fuß oder im Kajak machen kann, umso mehr geschätzt und verstärkt betrieben. Und dann wird auch neues Equipment wieder reizvoll. Dazu kommen mit Russland und Asien neue Märkte, und mit Frauen und Kindern neue Zielgruppen. Solange Euros und Dollars im Umlauf sind und sich die Branche ihre Innovationskraft erhält, wird das Thema Outdoor wirtschaftlich gesehen ein starker Trend bleiben. Und emotional müssen wir uns angesichts einer Menschheitsgeschichte, die hunderttausende von Jahren „outdoors“ stattgefunden hat [!], ohnehin keine Sorgen darum machen.« (Land der Berge, 5/2012)

Was er hier wohl andeuten wollte ist: In Krisenzeiten gesellt sich zu der ohnehin vorhandenen Sehnsucht nach Natur und Ursprünglichkeit, nach Einfachheit und Konkretheit als Gegenpolen zur abstrakten, hektischen, unverständlichen, modernen Gesellschaft, offenbar auch das Bedürfnis, sich schon einmal körperlich wie mental auf den Naturzustand vorzubereiten. „Krieg aller gegen alle“ hieß dieser bei Hobbes, paradiesisch hingegen schien er bei Rousseau und in der Romantik. Rezente Vorstellungen davon liegen vermutlich irgendwo dazwischen, allerdings nach beiden Seiten offen. Was unsereins in die Natur treibt ist jedenfalls vielschichtig. Das stellten auch die Wissenschaftler_innen Kirchhoff, Vicenzotti und Voigt in einem ganz aufschlussreichen Sammelband über genau dieses Thema, „Sehnsucht nach Natur“ fest. Sie schreiben auch, dass es zu kurz greife und überdies eine unzulässige Ontologie sei, dem Menschen ein naturgegebenes Streben zur Natur zu unterstellen, oder mit anderen Worten, zu behaupten, er müsse eine naturferne Lebensweise kompensieren. (1)

    Ein hoher Fahrwerksstand hat auch Nachteile.

Ein hoher Fahrwerksstand hat auch Nachteile.

Doch zunächst ein kleiner Exkurs in die Mobilität: Was in Krisen-Zeiten wie diesen für die Urlaubs- und Freizeitgestaltung gilt, spiegelt sich genauso im Autofahren wieder: „Die Zukunft fährt voll auf Gelände ab.“ Und das am besten mit einem Sport Utility Vehicle (SUV). Die Franfurter Rundschau nannte in ihrem Wirtschafts-Teil einige Gründe, warum SUV’s so beliebte „Fahrzeuge des Eskapismus“ sind, zumindest bei denen, die sie sich leisten können. Das heißt nicht zwingend, dass mit dem SUV in die Berge zu fahren das zeitgenössische Idealbild der Alltagsbewältigung und der Erholungssuche darstellt. Das Bild liegt aber zumindest nahe. Denn es geht für die Fahrer_innen immerhin auch um Lifestyle, und wo nicht, um Abenteuerlust, spaßige Freizeitgestaltung und Triebverdrängung. Zwar könnte man meinen, das Bewusstsein für die ökologische Schädlichkeit solcher Form der Mobilität steige in letzter Zeit parallel mit dem ohnehin allgemein steigenden Umweltbewusstsein, wiewohl ja auch die Verkehrsbetriebe bemüht sind – gleichwohl nur mäßig erfolgreich – verbesserte Angebote für ökologische bewusste Urlauber_innen zu schaffen. Doch mal ehrlich: wer tut sich denn schon gerne den Stress des Zugfahrens an, zumal im Urlaub? Womöglich auch noch, wenn man selber zur Gruppe der Bahn-Pendler_innen gehört und/oder mehr als einen Koffer dabei hat und vor Ort auch mal ein Bisschen unabhängig sein will? Zumindest niemand, der ernsthaft Ausgleich und Erholung nötig hat. Was die FR zurecht feststellt, ist, dass sich vieles auf einer rational nicht nachvollziehbaren Ebene abspielt, das kann eben die einzelne Kaufentscheidung genauso wie die Freizeitgestaltung betreffen. Und was Vernunft ist und was nicht, lässt sich unter den gegebenen gesellschaftlichen Umständen sowieso nicht ohne weiteres bestimmen. (2)

„Zurück zur Natur“ oder „Zurück zur Ursprünglichkeit“. So heißt die Devise für viele Natursuchende. Und wenn das schon nicht im weltumspannenden Kollektiv möglich ist, dann doch wenigstens auf der eigenen Scholle oder im eigenen Ich. Oder anders formuliert: wenn schon der weltweite ökologische Haushalt aus dem Ruder läuft oder schon gelaufen ist, gibt es Trost, wenn man wenigstens das Gefühl hat, dass der eigene seelische Haushalt (wieder) im Gleichgewicht ist. Dazu tragen nun bei immer mehr Menschen auch Wandern, Bergsteigen und Klettern bei. V.a. aber der Trend zu Klettersteigen und Indoor-Klettern ist ungebrochen. Letzteres, längst eigenständiger Sport und nicht mehr bloßes Winter-Training, wird immer beliebter, neben dem Nervenkitzel und der herausfordernden Bewegungsabläufe wohl auch wegen seiner psychologischen Komponente.  Mehr und mehr Kletterhallen werden gebaut oder erweitert, um den Anforderungen an die steigenden Besucher_innenzahlen gerecht zu werden. Genauso werden mehr und mehr Klettersteige in die Felswelt montiert.

Diese werden immer beliebter, denn sie ermöglichen auch klettertechnisch eher unbedarften Bergtouristen den Zugang zum Fels. Aber nichtsdestotrotz sind sie gleichzeitig zu wichtigen Wirtschaftsfaktoren geworden. Mittlerweile besitzt wohl fast jedes kleine Dorf in den Alpen einen Klettersteig, viele zudem einen Klettergarten. Das zieht zusätzlich Leute an. Je mehr eine Region an „Attraktionen“ und Zielen zu bieten hat, umso besser kann sie sich vermarkten. Logisch.

Interessant dazu ist wiederum ein Artikel aus „Land der Berge“, in dem von einer regelrechten Explosion der Klettersteig-Erschließung die Rede ist, mitsamt allen negativen Konsequenzen. Dort heißt es etwa zu den Verhältnissen in der Schweiz (Land der Berge 5/2012): »Bei einigen Seilbahnen kannst du nicht nur ein Kombiticket für Klettersteig plus Talfahrt erwerben, sondern auch die komplette Ausrüstung leihen. Dort hängen dann an die 200 Klettersteigsets, die passenden Einweghandschuhe gibt’s billig zum Kaufen. Und für unerfahrene Neulinge lässt sich kurzfristig ein Bergführer „buchen“ – die Schweizer haben den Tourismus immer schon besser gekonnt. Und nach dem Vorbild der Alpenüberquerungen per Mountainbike gibt’s auch in Österreich Klettersteig-Transalp-Routen, quasi von Drahtseil zu Drahtseil mit einigen Transferstrecken dazwischen. Die Alpen auf dem Weg zum Disneyland?« (3)

Dass damit Gefahren verbunden sind ist klar, mancher Ansturm ist schließlich doch zu groß und es kommt immer wieder zu gefährlichen Staus und den quasi-zwangsweise dazugehörigen menschlichen Kurzschlussreaktionen, auch klar. Ob die Alpen wirklich zu einem Disneyland werden und ob das nun so schlimm wäre, ist jedoch weniger klar. Denn schließlich lebt man dort ja auch vom Tourismus.Künstliche Kletterwand in einer Kletterhalle.

Ebenso ungebrochen ist der Indoor-Kletter-Boom. „Kletterhallen sind die Hütten der Städte“ heißt es auch im aktuellen Panorama. Ständig wird neu gebaut, ständig wird erweitert. Denn die Anziehungskraft, die von Kletterhallen ausgeht, scheint (noch) an keine Grenzen zu gelangen. Nur einige Beispiele, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Im letzten Jahr neu dazugekommen sind etwa Hallen des DAV in Rottweil, in Landshut, ein unabhängiger & privater Bau in Dresden (da dort aus den Fördermitteln und Plänen des DAV anders als erwartet doch nichts wurde), in Österreich eine neue größte Halle, die „Kletterakademie“ im Steirischen Mitterdorf.  Allein von 3 neuen Hallen war letztes Jahr in Frankfurt am Main die Rede: Eine neue Boulderhalle wurde dort dann im Dezember neueröffnet, das neue DAV-Kletterzentrum soll demnächst öffnen ebenso wie eine zweite neue Boulderhalle. Das sind nur die größeren Hallen-Bauten, von den vielen kleineren Bauprojekten in Schulen oder Freizeitanlagen völlig abgesehen. Das Hallen-Kletter-Mekka ist aber wohl nach wie vor München, mit 4 Kletterhallen, darunter die größte Kletterhalle Deutschlands, das DAV-Kletterzentrum Thalkirchen mit über 5000qm Kletterfläche (laut klettern.de). Pläne für weitere Hallen liegen sicher in vielen Schubladen und Planungsbüros. Denn schließlich sind die Fördergelder für Hallen beim DAV fest eingeplant. Erst auf der letzten Jahreshauptversammlung im November wurden entsprechende Richtlinien verabschiedet. »Mit diesen Richtlinien verknüpft ist der “Kletteranlagenentwicklungsplan”, der den bedarfsgerechten Bau von Kletteranlagen sicherstellen soll.« (Panorama 1/2013) Ein älterer Artikel auf klettern.de weist auf die Bedeutung der Kletterhallen für den DAV hin, und darauf, wie dieser deren Ausbau vorantreibt. Als ein Beispiel wird dort Hamburg angeführt, wo nach dem Bau einer Kletterhalle 2000 neue Mitglieder für die dortige Sektion gewonnen werden konnten.

Kletterhallen statt Squash- und Tennishallen, so brachte man es anderswo auf den Punkt. Aber ob der Trend ebenso schnell wieder vorbeigehen wird, wie der von Tennis und Squash, wird allein die Zukunft zeigen.

Ganz offensichtlich hängt er jedenfalls mit der Krise zusammen: »Die Leute kommen in Krisenzeiten verstärkt zu uns«, gestand DAV-Presse-Sprecher Thomas Bucher bereits 2009 der FAZ: »Wenn man so will, dann sind wir ein echter Krisengewinner.«

Andererseits streben die Menschen seit über 200 Jahren, ungefähr seit Beginn der Aufklärung in und auf die Berge. Oder anders: die Anziehung, die seitdem von Bergen und Natur ausgeht, ist historisch bedeutsam erst für eine Zeit, die etwa so lang zurückreicht. Das ist nicht einfach zu erklären und schon gar nicht rein technisch – die Gründe sind wie schon gesagt vielschichtig. Zu diesen Gründen der Begeisterung für die Berge kann ein anderer DAV-Aktiver, der Hamburger Sektionsvorsitzende Helmut Manz, Stellung nehmen, der in der taz erklärte: »Die Faszination hängt damit zusammen, dass es ein gutes Gefühl ist, wenn ich zwei- oder dreitausend Meter hoch gestiegen bin. Man hat die Herausforderung gemeistert und steht am Gipfel. Die Menschen können dabei ihren Alltag vergessen. Das ist jenseits von mystischer Übertreibung was die Menschen brauchen. Etwas zu tun, sich dabei zu bewähren und sich dabei gut zu fühlen.«

Und das Bedürfnis den Alltag zu vergessen oder das gute Gefühl, hochgestiegen zu sein, ist wohl krisenunabhängig. Aber eben nicht ahistorisch. Dozu dazu mehr an anderer Stelle.

(1) Kirchhoff/Vicenzotti/Voigt (Hrsg.): Sehnsucht nach Natur. Über den Drang nach draußen in der heutigen Freizeitkultur. Transcript, 2012

(2) Im Gegenteil, der von Widersprüchen bestimmte verdinglichte Vergesellschaftungszusammenhang erzeugt durch seine Praktizierung ein falsches Bewusstsein von sich selbst in seinen Produzent_innen, verstellt also geradezu die Wege von Vernunft und ihrer Erkenntnis; die Bedingungen unter denen Vernunft möglich wäre, warten daher noch auf ihre Verwirklichung in der Abschaffung eben jenen Verhältnisses. Das nur am Rande und darüber zu gegebener Zeit mehr.

(3) Vgl. auch Rückblick 2012, Teil 3, zum IMS und den Beitrag von Oswald Oelz

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