IMS 2013 #2

Zwischen “Walk” und “Talk”, so könnte das Motto des Spektakels lauten, das vor kurzem zum fünften Mal im beschaulichen Südtiroler Städtchen Brixen tagte. Der “Kiku.International.Mountain.Summit.” (IMS) warb zwar mit Größe, versuchte sich aber gleichzeitig so bescheiden und kameradschaftlich zu geben, wie die alpinistische Community es zu sein scheint. Dabei treten allerdings auch deren Widersprüche zutage.

Der mittlerweile in Europa wohl wichtigste Treffpunkt der Bergsport-Community hat vor allem den inhaltlichen Austausch über sich selbst, den Bergsport und seine Austragungsorte zum Ziel, dabei immer stark verwoben mit Entertainment und Marketing. 70 Speakers, 150 Journalists, 8000 visitors, heißt es z.B. in einem reißerischen Werbevideo. Und manchmal mutet das Event eher wie eine Messe, denn wie ein Kongress an, da kaum eine Gelegenheit versäumt wird, die zahlungskräftigen Sponsoren zu erwähnen. Sofort ins Auge sticht das schon im Titel: der Hauptsponsor wird vorangestellt. Doch nicht nur deshalb, auch und vor allem wegen der zahlreichen inhaltlichen Veranstaltungen, die Austausch herstellen und der Szene ermöglichen aktuelle, wichtige Themen und Entwicklungen zu diskutieren und Außenwirkung zu schaffen, kann man einiges über den Zustand der Gesellschaft erfahren, deren Teil er ist. Denn der IMS vor allem eines: Ein Ort der Ideologie-Produktion.

Die Bilder-Fabrik

Der diesjährig zum ersten Mal durchgeführte Photo-Contest versetzte in großes Staunen angesichts atemberaubender Aufnahmen. Bilder sind für dieses Event unerlässlich, schon allein als Werbefaktor. Ob Dokumentarfilm, Dia-Vortrag oder Werbefotos, dieses “Bergfestival” arbeitet, so wie es in der gesamten Outdoor-Branche üblich ist, vor allem mit Bildern. Überall präsent, transportieren sie Ideale, Träume, Normen, produzieren überall Bewusstsein, wecken Bedürfnisse. Sie sind unerlässlich, weil sie die verhandelten Inhalte und Themen oder das worum es schlechthin geht, nicht nur effektiv vermitteln, sondern selbst die zu veräußernden Waren sind: Das Erlebnis, die Erfahrung, festgehalten im Bild, stehen nicht nur für jene Ideale, Träume und Normen, die im Rahmen eines solchen Festivals wie am laufenden Band produziert werden, sie stehen nicht nur für den Aufbruch in die Freiheit und die Sehnsucht nach Natur oder nach wahrem Leben. Die Bilder sind es letztendlich auch, die den Erfolg der Sportler_innen und ihrer Sponsoren garantieren, die in den Vorträgen der Protagonist_innen bestaunt werden und in Werbe-Videos der Unternehmen verwertet werden können.

Mittler zwischen Welten

Es ist ein Spagat zwischen Welten, den der Kongress bewerkstelligt, und er gelingt erstaunlich gut. Dennoch werden zwischen Bergwanderung und Vorträgen, Bouldercup und Podiumsdiskussionen auch einige Widersprüche und Dilemmata deutlich, in denen sich der Alpinismus und seine Austragungsorte befinden. So etwa der Widerspruch zwischen dem Versuch der Abgrenzung von Heroismus und Glorifizierung und der gleichzeitigen Verstrickung in sie, etwa in der filmischen Darstellung des Österreicher Bergsteigers Paul Preuss, der Anfang des 20. Jahrhunderts der Pionier des Solo-Bergsteigens war, und über den eine Dokumentation des Salzburger Senders servus tv präsentiert wurde. Er konnte wohl getrost als Draufgänger bezeichnet werden, doch sein zugleich extrem gefährliches und umsichtiges Klettern werden überaus bewundert. Auch aufgrund seiner jüdischen Geschichte geriet Preuss dann jedoch in Österreich und Deutschland nahezu in Vergessenheit, wurde dafür paradoxerweise in Italien verehrt und erinnert.

Auch die Aufarbeitung der Geschichte des Alpinismus stellt eines der ständigen Problemfelder dar. Einerseits wurden antifaschistische Widerstandskämpfer des Alpinismus gerne erinnert, oft auch zu Helden stilisiert. Andererseits dauerte es lange, bis die vielzähligen Verstrickungen der Alpinisten und ihrer Vereine in Faschismus bzw. Nationalsozialismus erforscht, bekannt und akzeptiert wurden. Es ist eines der Verdienste auch Reinhold Messners – der beim IMS wieder einmal einen Preis für sein Lebenswerk verliehen bekam – unnachgiebig die Übernahme von Verantwortung und die Anerkennung von Schuld vor Allem von den Alpenvereinen abgefordert zu haben, wie auch in seiner Dankesrede wieder deutlich wurde.

Risiko als Dauerthema

Das zentrale Thema auf der diesjährigen Ausgabe des IMS war das Risiko und der Umgang mit ihm, aber auch seine gesellschaftliche Bedeutung. Die Grenzen des Machbaren werden im Bergsport – wie in anderen Sportarten auch – beständig hinausgeschoben. Allerdings steigt damit auch das Risiko. Die Unternehmen der Profis werden immer extremer, Risiken müssen mehr und mehr in Kauf genommen werden. Risikosportarten bestünden nun einmal in der Beherrschbarmachung des Risikos, meinte etwa Profi-Kletterer Stefan Glowacz, aber “der Grat wird immer schmaler”.

Dabei wurde auch die Rolle von Sponsoren in den Blick genommen. Besonders der Red Bull-Konzern, der sich auf Extremsport konzentriert stand schon des öfteren in der öffentlichen Kritik, so auch bei einem der Podien. Mehrere Red Bull-Sportler sind bereits tödlich verunglückt. Anfang Oktober stürzte der ungarische Wingsuit-Springer Victor Kovats bei einem Red Bull-Wettbewerb in China in den Tod.

Glowacz sowie der 23-jährige Durchstarter des Alpinismus, David Lama, die beide von Red Bull gesponsert werden, verteidigten das Unternehmen. Red Bull suche nur mündige und überzeugende Athleten. Es werde deshalb keinerlei Druck auf sie ausgeübt, ihre Projekte bestimmten sie selber. Im Gegenteil wurde Lama, der eigentlich vom Hallenklettern kommt, bei seinem spektakulären Unternehmen – der freien Erkletterung der berüchtigten Felsnadel Cerro Torre in Patagonien – vom Sponsor gefragt, ob er nicht lieber noch zwei, drei Jahre Jahre Wettkämpfe klettern möchte.

Doch selbst die eher naive Sicht eines Vertreters von Gore Tex, der sagte: “Wir stellen nur die Produkte zur Verfügung und helfen dabei, eine Geschichte zu erzählen”, dürfte sich der Problematik bewusst sein. Eine deutlich andere Sicht hatte der Wingsuit-Jumper Alexander Polli. Der extrovertierte Extremsportler, der sich auch als extrem lebensfroh zeigte, machte die für den IMS beispielhafte Mischung aus inhaltlicher Auseinandersetzung und Entertainment auf glänzende Weise deutlich. Er erklärte in einem Vortrag seinen Sport und versuchte das Publikum zu überzeugen, dass dieser auf sichere Weise durchführbar sei. Das Publikum, obgleich teils schockiert angesichts der atemberaubenden Videoausschnitte, hatte er in seiner emotional-flammenden und gleichzeitig intelligent witzigen Rede schnell auf seiner Seite. Auf die Frage nach den Auslösern einer solchen Betätigung – und damit war auf eventuell beschnittene Möglichkeiten der Kindheit angespielt – hatte er seine ganz eigene Deutung jener Beweggründe geliefert, die ihn dazu bringen in einem fledermausartigen Anzug von Bergen zu springen und durch Schluchten und Waldschneisen zu fliegen: »My childhood was truly the opposite of not being allowed to something”. Polli machte deutlich, dass er alle grundlegenden Voraussetzungen für den Extremsport von seinen eigentlich gar nicht so extremen Eltern bekommen hätte, außerdem habe seine Mutter Geld für den Kauf seines ersten Fallschirm beigesteuert. Seinen Sport betrachtet er im Gegensatz zu den gängigen Vorstellungen und Darstellungen als eine Form der Lebensbejahung.

Im November wird es hier dann auch ein Interview mit Polli geben.

Das Dauerthema Risiko wurde dann abschließend noch auf dem letzten, sehr prominent besetzten Podium diskutiert. Neben dem Mediziner und Bergsteiger-Veteran Oswald Oelz und Gleitschirmfliegerin Ewa Wisnierska und saß auch der als einer der führenden Intellektuellen Deutschlands angekündigte Philosoph Richard David Precht auf dem Podium, außerdem der Bild-am-Sonntag-Reporter Marcus Hellwig, der wegen eines Interviews mit einem Oppositionellen im Iran festgenommen wurde und 130 Tage in einem Foltergefängnis inhaftiert war.

Volksphilosoph Richard David Precht

Gesellschaft im Stillstand und Risiko als Rettung?

In seinem bemerkenswert gewitzten Impulsreferat mit dem Titel “Eine Gesellschaft ohne Risiken? Wie überwinden wir den Angst-Zustand” gewann der in der konkret einst treffend als Schmalspurphilosoph bezeichnete Richard David Precht das Publikum auch recht schnell für sich durch belustigende und immerhin ein wenig selbstkritische Bemerkungen über die eigene Biographie und den Stand der Philosophen. Letztere scherte er zwar – seiner pseudo-psychologischen Einteilung der Menschheit in die Fraktionen der Lustgewinnung und der Leidvermeidung zufolge – über den Kamm der Leidvermeider, wofür Kant als Spießer schlechthin der preußischen Nation herhalten musste. Außerdem seien die Philosophen bekannt für ihre Lösungsversuche von Problemen, die es ohne sie gar nicht gäbe. Er schaffte aber den Bogen über sich selbst zurück zum Thema: Angesichts der Jobchancen mit einem Philosophie-Studium sei seine Entscheidung, ein solches zu beginnen, ungewohnt risikofreudig gewesen.

Die Gesellschaft beruhe nun jedenfalls auf Leidvermeidung. Natur-Gefahren, tödliche Risiken usw. wurden weitgehend aus den menschlichen Gesellschaften gebannt, entsprechend sei auch die Angst verschwunden. Jedoch habe dies einen nachteiligen Effekt zum Resultat: Der Wohlstand sei untrennbar mit dem Risiko seines Verlustes verbunden. Richtigerweise hielt er fest, dass die Wertschätzung der Berge nach ästhetischen Gesichtspunkten erst mit der Aufklärung entstanden sei und dies auch nur durch die Bevölkerung der Städte und nicht jene der Berge selbst, er betonte den Aspekt der räumlichen Distanz. Paradox sei dies, da es gegen die kulturelle Norm der Bannung von Risiken anstrebe. Die individuelle Suche nach Risiko sei daher als ein Ausfall gegen die kulturelle Norm zu betrachten. Diese Gesellschaften seien nun wiederum mit der Gefahr des Verlustes jeglicher Dynamik, mit der Gefahr des Stillstands konfrontiert. Die dynamischsten Gesellschaften seien zwar “hungrige” Gesellschaften – das nicht unbedingt im wahrsten Wortsinne, aber verstanden als Gesellschaften mit großer Armut, hoher Arbeitslosigkeit oder allgemeiner Unzufriedenheit usw. Dennoch, man müsse sich verändern, sagte Precht. Als ein prominentes Beispiel für ein gesellschaftliches Risiko sprach er die Macht der großen, v.a. allem informationstechnologischen Konzerne an und dass wir uns jenen fraglos ausliefern würden, was er für ein unabschätzbar großes Risiko hielt. Um dies zu untermauern stellte er die hypotethische, aber vielsagende Frage an die Menschen im Publikum, ob sie eher bereit wären, auf ihr Handy zu verzichten oder auf ihr Wahlrecht. Letztlich zielte seine Argumentation darauf ab, dass das Nicht-Eingehen von Risiko in unterschiedlichsten Belangen und Lebenssituationen ein großes Risiko darstelle, für den einzelnen genauso wie für die Allgemeinheit. Gleichzeitig würden wir uns Dynamiken ausliefern, Mächten, die wie Naturgewalten auftreten und die wir nicht kennen – ein großes Risiko. Hier wird sein großer Mangel, die Unfähigkeit die gesellschaftlichen Dynamiken und Widersprüche auf den Begriff zu bringen, deutlich. Allerdings stellte er weiter fest, würde es eine letztendliche effektive Sicherheit, d.h. das Fehlen jeglichen Risikos gar nicht geben – und das sei auch gut so. Alles, das ganze Leben sei mit Risiko behaftet und wenn alles seinen sicheren Gang ginge, es keine Entscheidungen zu treffen gäbe, wäre das eher eine Horrorvorstellung.

Oswald Oelz, Mediziner und altgedienter Alpinist sprach seine Verachtung der Gesellschaft offen aus, die er als “Null-Risiko-Gesellschaft” bezeichnete. Es sei nunmal total langweilig und trostlos, kalt und steril, er gipfelte dies sogar noch im Ausspruch: “If life gets boring, risk it”. Das Leben auch einmal aufs Spiel zu setzen mache seinen Wert erst erkennbar und intensiv erlebbar, er verglich dies bezeichnenderweise auch mit der Kriegslust deutscher Soldaten in der Zeit vor allem des ersten Weltkrieges.

Precht hatte darauf nicht mehr zu entgegnen, als dass es doch auch noch eine zweite Evidenzerfahrung im Leben gäbe: die Liebe. Bla bla bla.

Einen interessanten Aspekt brachte glücklicherweise dann Marcus Hellwig ein: Er machte die Vorstellung einer Vision stark, wie man sie etwa für eine langfristige Flüchtlingspolitik benötigen würde. Er schlug vor, einfach mal alle “rein zu lassen und zu schauen was passiert”. Precht griff den Gedanken auf und verknüpfte ihn mit einer generellen Kritik an der Politik, der es an Visionen und langfristigen Planungen fehle. Er machte dabei die Unterscheidung zwischen Taktik und Strategie stark. Eine Strategie sei langfristiges Handeln, die Politik agiere jedoch lediglich kurzsichtig, den Problemen langfristig ausweichend, eben taktisch. Als Beispiel führte er die Grenzschutzbehörde Frontex an, deren Einführung und Erweiterung er als kurzsichtige Reaktion betrachtet.

Als die Diskussion dann für’s Publikum geöffnet wurde, kam die Frage nach den völlig unterschiedlichen Dimensionen des Risikos auf, d.h. danach ob man das Risiko für andere Menschen bzw. für ein höheres Ziel auf sich nehme, was beispielsweise auf die Bergrettung sowie auf das Risiko, das etwa Journalist Hellwig für sein Interview eingegangen war, oder ob man das Risiko nur für sich selbst eingehe, beispielsweise im Risikosport, worüber das moralische Urteil sicher nicht so positiv ausfällt. Man müsse sich verantwortlich fühlen für die anderen forderte die Stimme aus dem Publikum. Ewa Wisnierska ergriff daraufhin Partei für die Sportler und meinte: “Nicht jeder ist auf der Welt, um die Welt zu retten.”

Precht betonte daran anküpfend die Unterscheidung zwischen dem Gefühl und der objektiven, rationalen Notwendigkeit der Verantwortung, dass es also folglich darauf ankäme Verantwortung zu übernehmen, wo wir sie nicht fühlen und in Abwandlung davon solle es heißen “Achte deinen Nächsten, obwohl du ihn nicht liebst.”

Oelz meldete sich noch einmal zu Wort und zitierte Stephen Hawkings und Peter Sloterdijks Untersuchung der Frage ob die Menschheit noch zu retten sei und ihre Antwort: Ja, wenn man den genetischen Code verändere oder auf einen anderen Planeten auswandere. Das Publikum lachte und Oelz gab zu verstehen, dass dies aber nicht lustig sei.

Den Schlusssatz brachte Precht in einer Anspielung auf das Ende von Bernard Grzimeks Dokumentarfilm “Serengeti darf nicht sterben”, in dem auf eine Möglichkeit des touristischen Besuchs der Serengeti hingewiesen wurde, die bis dato in der im Film beschriebenen Form noch gar nicht bestand: Optimismus sei auch dann richtig wenn er gelogen ist.

Als ein Verdienst ist Precht zu Gute zu halten, dass er die Frage danach, wo es denn eigentlich langfristig mit der Menschheit hingehen soll überhaupt erst einmal gestellt hat, auch wenn er ganz offensichtlich bei dieser Frage einige wesentliche Eigenschaften der Gesellschaft übersehen hat. Er betonte dann noch in der Presse-Konferenz, dass der Titel der Veranstaltung, “Leute, riskiert!”, nicht eins zu eins zu verstehen sei. Wem das bis dahin noch nicht aufgefallen war, der hat sicher ohnehin nicht aufgepasst. Nichtsdestotrotz hat man das Gebäude falschen Bewusstseins an diesem Abend kein Stück verlassen. Das war auch nicht zu erwarten, da der IMS schließlich nur die gesellschaftlichen Verhältnisse wiederspiegelt – das allerdings als Stätte der Ideologie-Fabrikation.

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