Der DAV veröffentlichte seine neue Bergunfallstatistik 2012/13. Fazit: viele Unfälle sind vermeidbar.
Einerseits gab es noch nie so wenige tödliche Unfälle, andererseits ist die Zahl der Unfälle und Notfälle insgesamt gestiegen. Beim Klettersteiggehen zeigen sich diese Trends besonders deutlich. … Viele Unfälle und Notfälle sind auf die Überforderung der betroffenen Bergsportlerinnen und Bergsportler zurückzuführen und deshalb vermeidbar.
Mehr Leute in den Alpen, das heißt auch mehr Unfälle. Und wo ist da der Widerspruch? Nirgends.
Der hier schon oft geäußerte Hinweis auf die Widersprüchlichkeit des Deutschen Alpenvereins dürfte treuen Leserinnen dieses blogs bekannt sein. Mittlerweile ist auch Vertretern des Alpenvereins diese Widersprüchlichkeit auf- und etwas dazu eingefallen.
So kann man in der aktuellen Ausgabe der Vereinszeitschrift Panorama (#4/2014) ein Statement von Jörg Ruckriegel, Ressortleiter Naturschutz beim DAV, lesen:
Mancher vordergründige Widerspruch löst sich bei näherer Betrachtung in bloße Polemik auf, aber nicht jede Dissonanz lässt sich glaubwürdig in Einklang bringen. Als Verband mit extrem breiten Interessenspektrum sieht sich der DAV immer wieder inneren Konflikten ausgesetzt. Im besten Fall führt dies nicht zum Verzicht auf klare Positionen, sondern zur gewissenhaften Abwägung und zu einer ständigen kritischen Überprüfung des eigenen Handelns.
Alles klar? Nicht?
Nicht wundern! Denn das ist der DAV!
Immerhin schafften es die vom DAV zu einer Podiumsdiskussion über die Zukunft der Alpen eingeladenen Experten deutlicher zu werden. So bemerkte etwa der Generalsekretär des ÖAV, Robert Renzler das Dilemma der Alpenvereine, deren Gefangene und Mitverursacher sie gleichzeitig seien. Aber:
Wir werben nicht aktiv für mehr Alpenbesucher, wir sind nur ihre Anlaufstelle.
Interessanterweise war man sich bei der Diskussion, die die aktuelle Sonderausstellung im Alpenvereinsmuseum mit dem Titel “Alpen unter Druck” begleitet, offenbar weitgehend einig über eines:
Der Wandel zur Post-Wachstums-Gesellschaft wird kommen – by design or by Desaster.
So jedenfalls lautete die Prophezeiung des Volkswirtschaftsprofessors Niko Paech (Uni Oldenburg), wie man ebenso im aktuellen Panorama auf Seite 8 nachlesen kann. Wie allerdings diese Post-Wachstums-Gesellschaft aussehen könne, das unterlag der Spekulation. Erfreulich ist zwar, dass die Konflikte und Widersprüche zwischen Ökonomie und Naturschutz bzw. zwischen Alpenverein und Gesellschaft thematisiert werden. Es überrascht jedoch nicht, dass diese Thematisierung so oberflächlich bleibt, wie sie im Rahmen des Horizontes einer solchen Massenorganisation, die die Funktion von Lobbygruppe, Sportverein und Reisebüro in einem verkörpert, eben nur sein kann. Dass mit der auf Wachstum basierten Gesellschaft irgend etwas nicht stimmt, scheint erkannt (oder wenigstens: gefühlt) worden zu sein. Auch, dass es sich dabei um Ideologie handelt, wenngleich dieser Begriff von Ideologie wohl kaum einen Inhalt hat, d.h. leer ist. Und an dieser Stelle bleibt man, wie üblich, stehen und belässt es bei Prophezeiungen und Spekulation im schlechten Sinne. Ein idealer Tummelplatz für Volkswirte.
Geschwätzigkeit und Okkultismus: Volkswirtschaftslehre
Dass Ideologie die Ursache genau dafür ist, nicht weiter zu gehen als bis zu jenem Punkt, an dem der Widerspruch zwischen der Idee des Wachstums und der prophezeiten Endlichkeit der Ressourcen festgestellt wird, bleibt unverstanden. Ideologie wird eben nicht als notwendig falsches Bewusstsein der gesellschaftlichen Verhältnisse aufgefasst. Aber was will man schon von Vertreterinnen der Volkwirtschaftslehre erwarten? Also von Leuten, die nicht verstehen, weil sie es auch gar nicht verstehen wollen, dass ihr Forschungsgegenstand rational gar nicht verstehbar ist. Zu dieser sich allen Ernstes als Wissenschaft verstehenden Gruppe von Okkultist_innen haben Leute wie Joachim Bruhn und Claus-Peter Ortlieb alles Nötige gesagt. Auf einen hervorragenden Beitrag von ersterem zu diesem Thema möchte ich an dieser Stelle nur kurz hinweisen: Ein Vortrag, der Ende 2013 im Rahmen der Reihe Ideologie der Verwaltung – Zur Kritik der Rationalisierung des Irrationalen des AK Gesellschaftskritik an der Uni Leipzig gehalten wurde
Bruhn weist u.a. darauf hin, dass es sich hier um eine Branche handelt, deren Mitglieder, wenn sie sich im Ruhestand befinden, also nicht mehr fürchten müssen ihr wirtschaftliches Fundament zu untergraben, in ihren Memoiren oder anderen offenbar unvermeidlichen Verlautbarungen nicht selten genau das zu Protokoll geben, dass sie nämlich keine Ahnung davon haben, wovon sie eigentlich reden bzw. geredet haben; dass sie nach ihrer Laufbahn in einer von reger Geschwätzigkeit geprägten Diskursspielwiese, die v.a. im Hin- und Her-Werfen des immergleichen blabla zwischen subjektivistischer und objektivistischer Wertlehre besteht, getreu der Devise Robert Mitchums: „Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?“, schließlich ihre eigene Kapitulation verlautbaren.
Das Dilemma ist nun einmal, dass der Wert nicht theoriefähig ist, zumal für ein Denken, das angesichts der grundlegenden objektiven gesellschaftlichen Widersprüche, auf die es und an denen es sich früher oder später notwendig stößt, in logische Alternativen getreu dem Schema „entweder – oder“ verfällt. Das Dilemma ist, dass das Kapital als ein automatisches Subjekt von einer Struktur ist, die nicht nur ihr eigenes Bewegungsgesetz anders aussehen lässt, als es ist, d.h., es verschleiert und quasi naturhaft erscheinen lässt, sondern in dieser Struktur nicht einmal für menschliche Vernunft denkbar, begreifbar ist. Eine Struktur des sowohl – als auch ist diesem ideologischen Denken nicht möglich.
Die Nationalökonomen, d.i., die Volkswirte, tummeln sich in diesen Widersprüchen nicht anders als der Otto-Normal-Vergaser und jonglieren mit Begriffen, ganz als wären sie im Zirkus – und sie sind es ja wirklich. Im dritten Band des Kapital heißt es in diesem Zusammenhang:
Die Vermittlung der irrationellen Formen, worin bestimmte ökonomisch Verhältnisse erscheinen und sich praktisch zusammenfassen gehen die praktischen Träger dieser Verhältnisse in ihrem Handel und Wandel nichts an. Und da sie gewohnt sind, sich darin zu bewegen, findet ihr Verstand nicht im geringsten Anstoß daran. Ein vollkommener Widerspruch hat durchaus überhaupt nichts Geheimnisvolles an sich.
Bruhn fasst Ideologie, wie sie die Form für’s Gebrabbel der Volkswirte darstellt, so:
„Ideologie ist die Reproduktion der falschen Denkformen, in der Antinomie, in der Oszillation. Es ist eine einzige große Talk-Show.“
Womit wir wieder am Anfang wären.
Erwähnenswert noch, dass in selbiger Panorama-Ausgabe, nur zwei Seiten weiter, ein Schlag gegen die Verlagerung des allgemeinen Schnelligkeitswahn ins Gebirge und in den Bergsport geführt wird, wie er kaum für möglich zu halten ist, gleichwohl genauso kurz gedacht.
Zeitdruck am Berg
Trailrunning, Speedhiking, Mountain Attack, Ultratrail, Skyrunning. Stefan Winter sieht hierin den Vorstoß der Leistungsgesellschaft in den Bergsport und in die Berge schlechthin. Es stimme „bedenklich, wenn Markt und Zeitgeist aus der Speedbewegung einiger Experten eine vermeintliche Breitenbewegung machen und der alpine Raum ausschließlich als Sportplatz wahrgenommen wird. Wenn aus der Vielfalt der Motive zum Bergsteigersport Einfalt wird. Wenn der irrsinnig beschleunigte (Berufs-)Alltag zur Norm auch für Hobby und Freizeit wird und im schlimmsten Fall auch am Berg der Burn-out droht.“ Winter propagiert als Alternative dazu, es einfach mal langsam angehen zu lassen. Ob das so einfach ist? Schließlich ist der irrsinnig beschleunigte Alltag ja etwas, das man sich nicht aussucht, sondern ein Zwangsverhältnis, aus dem man nicht einfach so rauskommt. Natürlich bieten die Berge ja geradezu einen Fluchtpunkt, eine Rückzugsmöglichkeit und der Bergsport für viele einen notwendigen Ausgleich. Dass dieser Ausgleich und dieser Rückzugsraum nun immer mehr dem Leistungsdenken anheimfällt ist in der Tat bedenklich. Nötig wäre es allerdings auch hier, weiter zu denken, als es der simple Gegenvorschlag von Entschleunigung tut. Interessant wäre hierfür auch, die Perspektive von Hartmut Rosa einzubringen, bzw. sein Konzept der Resonanz damit zu vergleichen. Wenngleich in seinen Schlüssen ähnlich fragwürdig, betont dieser immerhin stets, dass Zeit kein Naturding ist, sondern im Kapitalverhältnis zur Ressource wird. Und “Kapitalzeit ist Nullzeit”, hieß es bei Marx schon. Ein Denken, das so weit kommt, wird diese Gesellschaft wohl kaum länger dulden und kann nur noch feststellen: sie muss weg.