Ueli Steck über Trail-Running: „Das ändert die ganze Einstellung zum Bergsteigen“

Ueli Steck hat in Interviews eigentlich immer etwas Substantielles zu sagen. Deshalb habe ich die Gelegenheit neuerlich genutzt und mich beim vergangenen International Mountain Summit in Brixen mit ihm unterhalten. Wir sprachen über sein Buch und seine letzte Himalaya-Expedition, vor allem aber über seine Karriere als Solo-Alpinist und den Trend des Trail-Runnings, den er auch als bedeutsam für das heutige Bergsteigen ansieht.

 

Dieses Jahr im Frühjahr wolltest du zusammen mit David Göttler eine neue Route in der Shishapangma Südwand begehen. Was für eine Route war das? Ist sie vergleichbar mit deiner Route von 2011 oder in der Annapurna von vor zwei Jahren?

Ja, da bin ich die Girona-Route gegangen. Wie schwer das ist, das kann ich gar nicht so genau sagen, da wir es gar nicht richtig probieren konnten, weil wir nicht das richtige
Wetter hatten. Aber das wäre schon eine direkte Linie auf den Shishapangma gewesen.

Bist du sehr enttäuscht gewesen, dass es nicht geklappt hat?
Logisch ist man immer enttäuscht. Man geht mit dem Ziel los, etwas zu erreichen,
aber das ist die Realität beim Bergsteigen, das muss man akzeptieren. Wenn man das
nicht akzeptieren kann, dann hat man ein hartes Leben, das ist normal im Sport oder im Bergsteigen, dass man nicht gewinnt. uelibuch

Ihr habt dort ja auch die Leiche von Alex Lowe gefunden. Welche Bedeutung hat das, wenn man die Leiche von einem so bekannten Bergsteiger findet? Was geht da in einem vor?

Das ist die nunmal Realität. Ich habe schon viele Tote in meinem Leben gesehen und von daher war es für mich nicht so ein tiefgreifendes Erlebnis. Ich hab den ja nicht gekannt. Wenn das Leute gewesen wären, die ich gekannt hätte, dann ist das natürlich was komplett anderes. Aber so ist es der Alex Lowe, ich habe den nie vorher getroffen und dann ist das eine relativ abgestumpfte Angelegenheit.

Du hast ja eigentlich vor ein paar Jahren beschlossen, mit dem Solo-Klettern aufzuhören, vor allem auch aus Rücksicht auf deine Ehefrau Nicole. Warum hast du dann trotzdem weitergemacht?

Ja, das ist für mich schon ein heikles Thema. Also eigentlich muss ich schon aufpassen mit diesen Solo-Begehungen, denn man geht da schon recht ans Limit. Und auf der anderen Seite ist es ein Teil von mir, also ich kann da nicht einfach sagen „Nein, das mache ich nicht mehr“. Nicht, solange ich das Gefühl habe, es treibt mich an. Dann muss man das irgendwie mit sich abmachen. Es war eine Phase, in der wir sehr stark darüber nachgedacht haben und meiner Frau wäre es sicher lieber, wenn ich es nicht mache. Aber trotzdem ist das Solo-Gehen ein Teil meiner Persönlichkeit. Und das war auch der Grund, warum ich immer wieder zurück gegangen bin und Sachen solo gemacht habe.

Du hast in deinem Buch „8000+“ geschrieben, dass der Speed-Ansatz darauf
hinausläuft, dass sich am Ende zwei Alpinisten in einer Route bzw. über eine Route regelrecht duellieren und sich dem Zwang aussetzen, das Risiko immer weiter zu erhöhen, was am Ende schief gehen muss. An der Eigernordwand hast du dieses Spiel ja auch eine Weile mitgemacht oder vielleicht sogar angezettelt. Willst du das noch weitermachen? Oder hast du das jetzt erstmal aufgegeben?

Nee, aber du musst dir einfach bewusst sein, dass es darin enden kann. Also musst du überlegen, wo deine Grenzen sind, wo noch Kapazitäten sind, wo es noch schneller gehen kann, oder eben nicht. Wenn man das wirklich zu sehr auf die Spitze treibt, dann geht’s halt mal schief. Und es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein. Ich habe ja letztes Jahr den Rekord zurückgeholt und das war eigentlich auf einer komplett anderen Ebene als früher. Da bin ich viel weniger Risiko eingegangen. Das ist etwas, das kann man irgendwie nicht erklären. Mit meiner Leistungsfähigkeit hat sich die ganze Grenze verschoben und wenn es in dieser Komfort-Zone bleibt, dann habe ich auch das Gefühl, dass es nicht sehr gefährlich ist. Aber man darf halt nicht aus dieser Komfort-Zone raus und sich dann treiben lassen von dieser Form der wettkampfartigen Situation, in der man sich gegenseitig aufschaukelt. Aber es ist klar, das ist genau die Geschichte, die die Medien sehen wollen.

Und wie schaffst du es, dich diesem Druck zu entziehen?

Man muss sich einfach gut abgrenzen. Ich habe jetzt auch sehr viel Erfahrung und ich mache eigentlich, worauf ich Lust habe. Ich habe da so mein System, wie ich mich davon abgrenze. Diese ganzen Medien zum Beispiel verfolge ich eigentlich überhaupt nicht. Ich lese auch keine Artikel, aus dem ganz einfachen Grund, dass ich mich da nicht irgendwie verleiten lasse und auf eine falsche Route komme. Es ist schon wichtig, dass man sich da gut schützt.

Und ist das auch ein Grund dafür, dass du dich auch ein Bisschen mehr in Richtung Trail-Running orientierst und das mehr in dein Training einbaust? Oder sattelst du vielleicht sogar um? Schließlich sieht man dich ja auch hin und wieder bei Wettkämpfen teilnehmen.

Umsatteln, nein. Ich habe da ja gar keine Ambitionen, da mithalten zu können. Dafür bin ich viel zu spät. Aber für mich ist es ein sehr gutes Training und ich habe da sehr viel Potenzial. Was man ja auch an meinen Leistungen sieht. Durch das Trail-Running habe ich auch beim Bergsteigen noch eine höhere Leistungsfähigkeit aufgebaut. Und das ist für mich eigentlich das Ziel des Trail-Running: also dass ich meine Leistungsfähigkeit beim Bergsteigen noch erhöhen kann. Auf der anderen Seite macht es mir sehr viel Spaß und ich mache auch die Wettkämpfe sehr gerne und mag das Ambiente. Und ich bin auch davon überzeugt, dass diese Wettkämpfe sehr wichtig sind für das Training. Du kannst dich schon quälen im Training, aber du gehst nie so ans Limit, wie in einem Wettkampf, wenn noch andere mitlaufen. Und von daher ist es eine sehr gute Gelegenheit für mich, das zu trainieren. Ich laufe zum Beispiel auch wieder im November den New York Marathon. Ich bin überhaupt kein Läufer. Aber ich weiß für mich, es ist ein sehr guter Trainingsreiz und das macht Spaß mit 50.000 Leuten durch New York zu laufen. Das ist ein sehr schönes Gefühl.

Hast du eine Zeit, die du anpeilst?

Ja, ich möchte schon unter drei Stunden laufen. Aber ich bin jetzt von einer Expedition zurückgekommen, bin vier Wochen keinen Meter gerannt. Das ist natürlich keine optimale Vorbereitung (lacht). Und genau da musst du ja auch aufpassen. Mir macht das Trail-Running sehr viel Spaß. Und dann kommen die Leute mit einer Erwartung und denken, du müsstest soundso schnell sein. Aber am Schluss muss ich ein guter Bergsteiger sein. Und nicht ein guter Läufer. Und da muss ich für mich das System finden und mich auch abgrenzen.

Hans-Jörg Auer hat in einem Vortrag beim IMS gesagt, dass es ihn weniger
reizt, schnell auf einen Berg „hochzurennen“, sondern er sucht sich lieber eine schwere Route, bei der nicht klar ist, ob sie machbar ist. Denkst du, dass der Speed-Ansatz im Alpinismus noch mehr an Bedeutung gewinnen wird im Vergleich zum klassischen Schwierigkeitsalpinismus?

Ja, aber natürlich wird etwas schweres, wenn man effizient unterwegs sein kann, auf
einmal viel realistischer. Man sieht es jetzt halt an dem ganzen Simul-climbing, zum
Beispiel in Patagonien, wo der Alex Honnold und der Tommy Caldwell, dadurch, dass sie sehr schnell und effizient unterwegs sind, Sachen machen können, zu denen normale Bergsteiger nicht fähig sind, weil es einfach zu schwer ist. Speed hilft, dass man auch schwerere Sachen machen kann. Mich reizen schon auch schwere Begehungen. Aber da hab ich das Gefühl, dass Speed sehr viel hilft, weil man in einem kurzen Zeitfenster das ganze hinter sich bringt. Und ein anderer, der diese Effizienz nicht hat, der ist dann halt im schlechten Wetter und das funktioniert dann nicht. Also man kann das gar nicht klar trennen.

Als ich das letzte Mal auf dem Mont Blanc war, habe ich auch jemanden mit
Turnschuhen rumlaufen sehen und mich gefragt, was um Himmels Willen der da macht. Aber machst du sowas nicht auch – mit Laufschuhen auf den Mont Blanc?

Ja, dieses Jahr bin den Mont Blanc ein paar Mal gelaufen. Das ist super!

Mit Laufschuhen?

Ja ja, das geht gut. Auch hier: das Ganze entwickelt sich. Durch diese Sachen kommen wir natürlich in eine komplett neue Dimension des Bergsteigens. Aber es spitzt sich natürlich auch viel mehr zu: Wenn du mit Laufschuhen auf dem Mont Blanc bist und es kommt schlechtes Wetter oder es sind schlechte Verhältnisse, dann ist es nicht ganz ideal. Also da muss man schon aufpassen. Aber es ist schon sexy: du gehst nach Les Houches [Talort] und wenn du um sieben startest bist du am Nachmittag wieder zurück. In fünfeinhalb Stunden bist du von dort locker auf dem Mont Blanc. Und das ändert dann schon die ganze Einstellung zum Bergsteigen.

Nimmst du dann Stöcke mit? Und wie beugst du einem Abrutschen auf dem Eis vor?

Ja du kannst ja Steigeisen auf die Laufschuhe montieren. Und mit Stöcken bist du  halt viel schneller, das ist ja auch der Grund warum ich die mitnehme. Bei den Skyraces zum Beispiel bist du auch schneller mit Stöcken.

Noch eine andere Sache, die mir in deinem Buch aufgefallen ist: du meinst, dass gute Bilder oftmals über Erfolg und Ruhm von ambitionierten jungen Bergsteigern entscheiden und nicht unbedingt das Können. Nervt dich nicht selber auch manchmal
der ständige Druck zur Selbst-Inszenierung oder bist du davon ohnehin etwas befreiter?

Ich glaube, ich bin da in einer sehr komfortablen Situation. Ich kann es machen, aber ich hab halt diesen Druck nicht mehr, wie ein junger Bergsteiger. Heutzutage ist es auf eine Art viel einfacher, aber auch viel mühsamer, weil du halt konsequent und konstant  irgendwelche Bilder und eben diese Selbst-Inszenierung bieten musst. Und dasist etwas, das liegt mir eigentlich nicht. Zum Teil muss ich es mitmachen, aber ich kann es mir eigentlich sehr gut einteilen. Am Schluss muss es für dich selber stimmen. Also für mich ist schon die Leistung hinterher viel wichtiger, als dann die guten Bilder zu machen oder die Expedition zu machen, die dann einen super Film ergeben und ein Riesen-Erfolg ist, da hab ich echt Mühe, da dahinter zu stehen. Also ich persönlich finde das recht schlimm.

Hast du schon Pläne für nächstes Jahr, machst du was im Himalaya?

Ja ich gehe nochmal die Everest-Lhotse-Traverse probieren, bisher ist da noch niemand drüber gekommen ohne Sauerstoff.

Das klingt spannend. Dann viel Erfolg dafür und danke für das Interview!

 

One thought on “Ueli Steck über Trail-Running: „Das ändert die ganze Einstellung zum Bergsteigen“

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