Vor einigen Tagen wurde die neue Ausgabe (5/2013) des Magazins des Deutschen Alpenvereins Panorama veröffentlicht, wie ich finde eine der lesenswertesten Ausgaben der letzten Jahre. Und der Inhalt ist nicht nur hochinteressant, sondern auch besonders relevant. Titelthema: “Alpen unter Druck – Erschließung & Tourismus”.
Eingeleitet wird das Thema mit einem Bericht unter dem Titel “Die Landschaft, die wir uns leisten” von Axel Klemmer, der bei einer Wanderung durchs Ötztal auch vor den weniger sehenswerten, den unschönen und absurden Seiten der Besiedelung die Augen nicht verschlossen hat. Er beschreibt u.a. die Entwicklung hin zu einer der besterschlossenen Tourismusregionen Österreichs und die Infrastruktur, die von dieser benötigt wird. Dabei fällt sein Blick auch und gerade auf Schandflecken, auf Baustellen, abweisende Einfamilienhaussiedlungen, Kläranlagen, Wertstoffhöfe und stellt etwa fest:
Wer wissen will, ob es den Menschen gut geht, muss sich ihre Wertstoffhöfe anschauen.
Die bei seiner Wanderung entstandenen Fotos, kann man sich beim Panorama Internet anschauen.
Was wir uns leisten & was schön ist…
Ein ebenfalls nur auf der Panorama-Homepage erschienenes Interview mit Jakob Falkner, Geschäftsführer der Söldener Bergbahnen, gewährt Einsichten über die wirtschaftlichen Interessen einer solchen Erschließung und hilft verstehen, welche Dynamiken im Spiel sind und wie es letztlich zu einer Entwicklung wie der des Ötztales kommt. Im Interview wird etwa bemerkt, es heiße immer, “der Gast will das so”. Auf die Frage, was Falkner selbst denn wollte, sagt er:
»Wenn ich heute im Tourismus tätig bin, dann kann ich nicht sagen, was ich will. Das ist mein privates Hobby. Hier geht es ausschließlich um die Kunden, um den Markt. Dass wir selber einfach machen, was uns gefällt, dass wir bauwütig sind und so weiter, das ist eine Irrmeinung. Das gibt uns der Kunde vor! Absolut!«
Dann geht es um die Frage, wer nun diese Entwicklung antreibe – »das Angebot oder die Nachfrage: Mag der Gast nicht erst etwas haben, nachdem man es ihm gegeben hat?«
Falkner:
»Das wird sowohl als auch sein. Natürlich, wenn es was Neues gibt, dann nimmt er das gern in Anspruch. Aber Tatsache ist – davon bin ich überzeugt –, dass der Gast Bequemlichkeit wünscht. Und er will alles möglichst sofort. Wenn ich heute von Frankfurt nach Sölden fahre, sitze ich viele Stunden im Auto. Alles in allem verliere ich schon einen Tag allein mit der Anreise. Und bin ich endlich da, sollen die Rädchen alle ineinander greifen. Von der Information über die Anreise zum Aufenthalt und wieder zurück. Da sind alle Marktteilnehmer vor Ort eingebunden, Hotels, Restaurants, Unterhaltung, Seilbahnen. Das ist sehr komplex. Die Frage der Zukunft wird sein, wie man das gestaltet. Ob man die richtigen Märkte sucht, die richtigen Produkte anbietet – das ist nicht anders als in vielen anderen Branchen auch. Man kann da nicht illusionistisch sein, ich sehe das ganz pragmatisch. Wer mitspielen will, muss eine entsprechende Entwicklung anbieten. Ganz einfach: Wenn sie 20 Jahre lang nichts mehr tun, sind sie tot – ach, nicht einmal 20 Jahre, 10 Jahre!«
Das komplette Interview gibt es hier.
Recycling in der Bekleidung und Verzichtpredigten
Neben einem lesenswerten Artikel über Recycling in der Outdoor-Bekleidung sowie einem über den Raumbedarf der Erneuerbaren Energien kann die neue Ausgabe auch noch mit einem Interview mit den beiden Professoren Niko Paech (Oldenburg) und Dominik Siegrist (Rapperswil) aufwarten. Passenderweise fragt die Einleitung des mit »Sich selbst eine Grenze setzen« betitelten Artikels nach der Deutung des von mir bereits an anderer Stelle kritisierten, aussageschwachen Leitbildes des DAV. Die beiden Professoren kritisieren ganz nach der Annahme eines homo oecologicus und unter Ausblendung der gesellschaftlichen bzw. politisch-ökonomischen Voraussetzungen v.a. das Verhalten des Einzelnen. So wird etwa gefragt »mit welchem Recht« Menschen aus Norddeutschland einmal im Jahr zum Ski-Urlaub in die Alpen fahren und wie MünchnerInnen es mit ihrem Gewissen vereinbaren können, nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Berge zu fahren. »Wenn Mobilität teurer würde, wäre auch die Freizeit und Tourismusgestaltung eine andere«, meint Paech. Mobilität soll also teurer werden. Teurer als ohnehin schon. Alles klar!

Prof. Dr. Niko Paech, “Produktion und Umwelt”, Uni Oldenburg
Es verwundert nicht, dass “Postwachstumsökonom” Paech den individuellen Verzicht und die “Befreiung vom Überfluss” – so der Titel seines Buches – predigt, da er offenbar zu einer Abstraktion, die über das (oder den/die) konkrete Einzelne und dessen Verhalten hinausgeht, nicht fähig ist. Aber damit stellt er sich ja nun gewissermaßen in eine ökonomische Tradition. Einzig Siegrist sagt etwas Richtiges:
»Die Alpenvereine müssen aus ihrer enormen Mitgliederzahl eine Stärke machen. Sie alle wachsen, der DAV hat eine Million Mitglieder. Man könnte die Größe zunächst als ein Problem ansehen, denn es sind dadurch auch mehr Menschen in den Bergen unterwegs, nutzen die Wege und Hütten, verbrauchen Ressourcen und zertrampeln die Landschaft. Für mich ist das aber eine Chance, denn man kann so auch mehr Menschen erreichen und aufklären.«
Dann gibt es im Panorama jedenfalls noch einen Hinweis passend zum Thema:
In der Werbung des DAV SUMMIT CLUB heißt es: Christoph Schnurr, Leiter des Expeditionsbereiches beim DAV Summit Club zeigt »in seinem Curriculum von “0 auf 8000” modellhaft die Schritte auf, die es braucht, ein Expeditionsbergsteiger zu werden. Un im neuen Katalog 2014 finden sich Veranstaltungen, um die eigene Leistungsfähigkeit und Höhenverträglichkeit mitten in München zu testen, sich auf der Franz-Senn-Hütte für schwere Trekkings und Expeditionen vorzubereiten oder eine “Alpen(Trainings-)expedition” im Ötztal durchzuführen…«. Von 0 auf 8000 – mit den Alpen als training ground. Soviele tolle Projekte und so viel Weitsichtigkeit! Herzlichen Glückwunsch, DAV, für die neue Panorama-Ausgabe.
Nächster Termin für’s 8000er-Coaching: 30. November, 14 Uhr, Globetrotter Filiale München, Preis: 8€ (AK) / 6€ (VVK)