Extremer Alpinismus als Glücksspiel und Flucht

Vor kurzem verunglückten die drei Ausnahme-Alpinisten Hans-Jörg Auer, David Lama und Jess Roskelley, vor zwei Jahren Extrembergsteiger Ueli Steck, genannt “Swiss Machine”.

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In einem Artikel, den ich für die Salzburger Nachrichten zum Thema geschrieben habe, geht es um die aktuelle Situation des extremen Alpinismus und um eine gesellschaftliche Tendenz, die darin zum Vorschein kommt. Denn es erscheint, als kommen und gehen die Größen des aktuellen Alpinismus oftmals im Zehn- bis Fünfzehn-Jahrestakt, immer auf der Suche nach neuen Extremen. Diese Suche mutet manchmal einem Glücksspiel an. Das heißt auch, wer Glück hat schafft rechtzeitig den Absprung. Doch den schaffen nicht alle. Den ungekürzten Artikel lest ihr weiter unten. Doch vorher möchte ich noch auf den mindestens genauso lesenwerten Artikel Am Gipfel geht nichts mehr von Martin Krauss verweisen, der bereits vor einer Woche in der taz erschienen ist. Krauss sollte nicht nur kritischen Sportfans

und Fans der Sportkritik bekannt sein, schließlich war er Herausgeber der gleichnamigen Zeitschrift, sondern auch allen Bergsteiger*innen als Autor des Buches Der Träger war immer schon vorher da, einer Geschichte des Bergsteigens von unten, die einige Jahrzehnte auf sich hat warten lassen müssen.

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Krauss bezieht sich, wie ich ebenfalls, auf Reinhold Messner und kommt zu einer ähnlichen Feststellung:

„Von den absoluten Spitzenleuten in der Alpingeschichte – wie es Lama, Auer und Roskelley waren – überlebt genau die Hälfte. Die andere stirbt mit 30 oder 35 Jahren.“ Die drei nun tot geborgenen Bergsteiger wurden 28, 35 und 36 Jahre alt. Sie passen also in Messners Regel.

Das erscheint zunächst als kühle Kalkulation, ist aber auch Ausdruck einer zweifelhaften und für viele, nämlich vor allem die Angehörigen, mitunter zur Verzweiflung treibenden Tendenz. So kommt der »kritische Chronist der Alpen« Messner zu dem Schluss: »Der traditionelle Alpinismus ist im Sich-Verlieren.«

Was Krauss und mich eint, ist der soziologische und historische Blick auf den Bergsport:

Tatsächlich hat sich mehr als nur das gesellschaftlich-wirtschaftliche Umfeld von Spitzenbergsteigern grundlegend verändert. Auch die Berge, genauer: die Wege auf die Berge sind nicht mehr die alten. Die Achttausender sind touristische Ziele geworden, die auf gespurten und gesicherten Wegen zu erreichen sind. Erst vor wenigen Tagen wurde gemeldet, dass auf dem Achttausender Anna­purna 1 an einem Tag 32 Bergsteiger auf dem Gipfel waren.

Die Schlüsse, die wir daraus ziehen, unterscheiden sich jedoch. Krauss sieht bereits das Ende des extremen Alpinismus, oder – mit Messner gesprochen – das Ende des »Abenteueralpinismus«. Dieses Ende wird es jedoch nicht geben, behaupte ich. Oder anders: Extremsport wird es immer geben. Zumal im Kapitalismus. Denn dahinter stehen handfeste materielle Interessen, sowohl der ausrüstenden Firmen, als auch der Protagonisten, die sich so ihr Brot verdienen können. Dafür ist dieser Sport ein viel zu wichtiger Wirtschaftszweig, der zudem die Sehnsüchte der normalsterblichen Berggeher*innen bedient, die es genauso immer geben wird.

***

Hier nun mein Artikel in seiner ungekürzten Fassung:

»Es ist wieder ein großer Verlust, den die Kletterwelt zu verschmerzen hat. Die in der vergangenen Woche verunglückten Bergsteiger Hans-Jörg Auer (35), David Lama (28) und Jess Roskelley (36) gehörten zu den ambitioniertesten und bekanntesten Kletterern weltweit. Er schmerzt, weil es drei junge Menschen getroffen hat – wieder einmal. Aber er schmerzt die internationale Kletter-Community, wie die vielen Beileidsbekundungen in den sozialen Medien bezeugen, auch deshalb, weil die beiden Tiroler David Lama und Hans-Jörg Auer für viele in der Kletterwelt inspirierende Persönlichkeiten waren. Durch ihre Erfolge hatten sie international hohes Ansehen genossen, vor allem David Lama hatte eine steile Karriere als Sportkletterer hingelegt und fast nahtlos den Sprung in die Spitze des Alpinismus geschafft. Obwohl durch ihre sportlichen Höchstleistungen zum Abheben verleitet, schienen sie dennoch auf dem Boden geblieben zu sein, gewannen durch ihre natürliche Art und die Seelenruhe die sie ausstrahlten, viele Sympathien.

Eine gewisse Seelenruhe ist vorteilhaft, wenn nicht gar nötig, angesicht der Gefahren, denen sie sich freiwillig aussetzten. Wenn wieder einmal jemand dabei zu Tode kommt, ist das Aufsehen und die Schelte der Kritiker oft groß – sicher nicht zu unrecht. Denn zurück bleiben jedes Mal trauernde Angehörige und Freunde. Die Protagonisten agieren daher in gewisser Weise egoistisch. Zu leiden haben in der Regel die Unbeteiligten.

Nun scheinen dem Spitzenalpinismus auf den ersten Blick sowohl die Ziele auszugehen, als auch jene Protagonisten. So werden die Expeditionsziele immer spezieller, unbekannter und womöglich gefährlicher, können durch ihre Klassfizierung fast nur noch durch Eingeweihte begriffen werden: VI WI7+ A2 – so lautet die Schwierigkeitsbewertung der Route M-16, die dem Alpinisten-Trio zum Verhängnis wurde. Schon lange geht es weniger um Gipfel, sondern vor allem um neue, schwierige Routen oder Aneinanderreihungen, sogenannte Enchainements.

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Im finstern Tal wandern und kein Unglück fürchten

Und die internationale Avantgarde des Alpinismus ist gerade dabei auszudünnen. Die großen Namen, sind im Verschwinden begriffen, nachdem es vor fast genau zwei Jahren bereits Ueli Steck erwischt hat, einen jener extremen Alpinisten, der selbst dem zu Tode gekommenen Trio noch einiges an Wagemut voraus hatte. Oder lassen es wie Steve House und Marko Prezelj etwas ruhiger angehen.

Man könnte versucht sein, zu meinen das sei vielleicht der traurige, aber wahre Kern des eigentlich ziemlich falschen Spruchs “Nur die Besten sterben jung”. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn viele schaffen es ja auch bis in hohe Alter am Leben zu bleiben, beispielsweise Reinhold Messner und Peter Habeler. Was ist ihr Geheimnis? Es ist eigentlich kein Geheimnis – auch Reinhold Messner betont das immer wieder – sie haben einfach Glück gehabt.

Doch warum trifft es gerade die Besten der Alpinisten so häufig, das heißt, mit so hoher Wahrscheinlichkeit? Die Antwort liegt auf der Hand: Als Spitze des Bergsports sind sie es, die die Grenzen der Machbaren beständig erweitern und dadurch gleichzeitig das Risiko immer weiter in die Höhe treiben. Das ist die Logik, die den Alpinismus zumindest in seiner extremen Form bestimmt.

Diese Logik wird gerne schnell verurteilt, vor allem, wenn wieder einmal ein Bergsteiger tödlich verunglückt. Dabei wird jedoch in aller Regel vergessen, wie sehr wir alle dieser Logik nicht nur durch unsere Sehnsucht nach den Bildern des Abenteuers und des Außergewöhnlichen Vorschub leisten, sondern sie auch genau so sehr verinnerlicht haben.

Das alpinistische Motto “Light and fast” als Kleiner Bruder des Olympischen “Höher, Schneller, Weiter” trägt dessen Gedanken ebenso in sich. Und dieser liegt vielleicht schon im Kern des Alpinismus begründet, der schon in seinen Anfängen eine Bezwingung von Natur war. Als 1786 der Mont Blanc erstbestiegen wurde, nachdem der Naturforscher Horace Benédict de Saussure einen Preis für die Erstbesteigung ausgelobt hatte, waren noch wissenschaftliche Gründe ausschlaggebend. Doch es dauerte nicht lange bis daraus eine richtiggehende touristische Mode wurde, die vor Allem für viele Briten der oberen Schichten und der Mittelschicht attraktiv war, die im Zuge der Industrialisierung entstand. So waren es gerade jene britischen Hobby-Forscher, die andere Motive mit ins Spiel brachten, sobals sie erst einmal richtig Gefallen an der imposanten und bis dato noch schlecht erforschten Natur der Alpen gefunden hatten. Neben der literarischen Strömung der Romantik und der durch sie beschworenen Schönheit der Natur, neben dem Überdruss an der feinen Gesellschaft sowie den schon damals verspürten Umweltfolgen der Industrialisierung war es nicht zuletzt der Sportsgeist, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem wichtigen Impuls in der Entwicklung des Alpinismus zu jener touristischen Erscheinung wurde.

Er äußerte sich wohl zuerst in jenem Wettbewerb, der um die Erstbesteigung des Matterhorns entbrannte und im Absturz der Seilschaft um den legendären Erstbesteiger, den Engländer Edward Whymper gipfelte, den dieser als einziger überlebte. Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Bergsteigen weiter, immer auch im Zusammenhang mit technischen Innovationen: von Eispickel und Steigeisen über Nylon-Seil, Schlaghaken und Karabiner hin zur Eisschraube und der funktionalen Hightech-Bekleidung von heute. Was damit auch immer mehr Einzug hielt war der Wille zur Überwindung steigender Schwierigkeiten. Gleichwohl sich die Motive des Bergsteigens wandelten – vom Willen zur Erforschung der Natur in großen Höhen hin zu Extremsport oder dem Ausgleich vom Alltag – so bleibt die Komponente der Naturbeherrschung eines seiner Merkmale. Gleichwohl hat sich im Laufe dieser Geschichte nicht nur das Bergsteigen differenziert, sondern mit dem Indoor-Klettern eine eigentständige und nunmehr sogar olympische Sportart entwickelt, die mit den alpinistischen Wurzeln nicht mehr viel gemein hat – bis auf das Ziel der Überwindung der Vertikalen versteht sich. Dass Geschwindigkeit dabei eine gewisse Rolle spielt, ist nicht nur beim Speed-Klettern so. Denn je schneller man sich auch am Berg bewegen kann, umso größere Möglichkeiten eröffnen sich auch versierten Alpinisten. Vor allem das Trail-Running hat hier einen hohen Stellenwert erlangt. Ueli Steck schwärmte sogar “das Trail-Running verändert die ganze Einstellung zum Bergsteigen!” Damit einher geht natürlich auch starke Professionalisierung des Trainings. Dass man sich noch wie Walter Bonatti mit Skifahren über die Wintersaison für das Bergsteigen fit hält ist mittlerweile undenkbar. Heute gibt es Kletterhallen, Indoor-Radtraining und natürlich das Skitourengehen, das sich in den letzten Jahren als eine neue Trendsportart und ganz eigene Form des Bergsteigens etabliert hat. Mittlerweile hat sich »die Befreiung von der industriellen Welt selber als Industrie etabliert«, wie auch der Literaturwissenschaftler Hans-Magnus Enzensberger in seiner Theorie des Tourismus feststellte.

Was sich dabei aber nicht geändert hat, ist, dass Bergsteigen eine Risikosportart ist. “Klettern und Bergsteigen im Grenzbereich ist kein Spiel ohne Risiko” wie Hans-Jörg Auer einmal sagte. Es macht einen Teil des Reizes aus, auch wenn es natürlich zu begrenzen versucht wird, vornehmlich durch Technik wie etwa bei der Lawinen-Ausrüstung. Hersteller von Outdoor-Bekleidung wie The North Face, der Ausrüster der drei Verunglückten, leben auch vom Image des Risiko-Sports. So spielt das Unbekannte, Unkalkulierbare auch im Slogan “Never Stop Exploring” eine wesentliche Rolle, wenngleich sich viele derartige Slogans in der Outdoor-Industrie finden lassen. Sprichwörtlich nicht umsonst unterstützen die Ausrüster abenteuerliche und zunehmend riskante Expeditionen, um mit spektakulären Bildern die eigene Marke zu bewerben. Und den Bildern von grenzenloser Freiheit, von Abenteuer, Wildnis, Naturbeherrschung, auch von der Überwindung der eigenen Natur, erliegen viele von uns. Denn die Sehnsucht, an die sie appelieren, teilen wir fast alle. Das spielt sich nicht wirklich im Bewussten ab. Wir bekommen nicht einmal mit, dass ein Bedüfnfis in uns geweckt wurde. So hat Reklame schon immer funktioniert, wie auch Theodor W. Adorno betonte. Sie könnte ihre Produkte nicht verkaufen, “verlangte nicht etwas in den Menschen danach.” Er wies auch darauf hin, dass das Bedürfnis nach Freiheit funktionalisiert und von der Outdoor-Industrie “erweitert reproduziert” werde.

Das sich beständig erhöhende Lebenstempo und eine flexibilisierte Arbeitswelt, die dem Individuum immer mehr abverlangt, lässt diesem Bedürfnis eine immer größere Bedeutung zukommen. Dass sich die Flucht vor dem Alltag auch im Bedürfnis nach extremen Erfahrungen äußert, brachte in dieser Klarheit auch der Bergsteiger Simon Messner erst kürzlich in der Tiroler Tageszeitung zum Ausdruck. Ein solche Haltung ist symptomatisch nicht nur für den Alpinismus, den Enzensberger in seiner Theorie des Tourismus als reinste Verkörperung des romantischen Grundgedankens des Tourismus dargestellt hatte: “Jede Flucht aber, wie töricht, wie ohnmächtig sie sein mag, kritisiert das, wovon sie sich abwendet.”

Dieses Verhältnis von Arbeit, Ausgleich und Flucht kommt exemplarisch auch in einem Plakatmotiv der Tiroler Gebietskrankenkasse – wohlgemerkt zum Thema Männergesundheit – zum Vorschein, in welchem ein Bild eines aufsteigenden Skibergsteigers mit “Auf’m Berg gib’s koa Burnout” betitelt ist. Diese simplifizierende Darstellung wälzt ein gesellschaftliches Problem auf das Individuum ab und bietet zugleich eine vermeintlich einfache Lösung an: auf den Berg gehen. Wieviele Menschen dabei jedes Jahr durch Lawinenunfälle zu Tode kommen fällt bei dieser Sichtweise natürlich hinten runter. Trotzdem spricht der wachsende Trend zum Skibergsteigen seine eigene Sprache: der Drang nach draußen – und nach oben – ist zusammen mit dem aktuellen Fitness-Trend zur Normalität geworden, der man jedoch auch mit Skepsis begegnen sollte. Diese Form der Suche nach Ausgleich spielt eine zunehmend wichtige Rolle, und zwar als Strategie, um den Anforderungen des Arbeitslebens gerecht zu werden. Auch das Risiko gehört hier dazu. Es kann befreiend sein, sich ihm zu stellen, Gefahren zu überwinden. Glücklicherweise wird vor allem in Bezug auf Lawinen einiges getan, um in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für diese Gefahren zu schaffen. Die Ausrüstung wird ständig optimiert, sodass tödliche Unfälle minimiert werden. Dennoch lässt sich ein Restrisiko oftmals nicht vermeiden. Gerade zum professionellen Alpinismus gehört auch ein unverstellter Blick auf die Risiken des Sports – und damit der Möglichkeit des Todes. Hans-Jörg Auer räumte offen ein, dass er manchmal daran gedacht habe, wie es wäre, wenn er einmal nicht mehr zurückkäme: “Und doch kann ich es dann nicht lassen, mich der Herausforderung das eine ums andere Mal zu stellen.” Daran äußert sich bereits das Zwanghafte und das Unbewusste, das viele antreibt. Auch Ueli Steck gab sich keinen Illusionen hin, war sich der Notwendigkeit des rechtzeitigen Absprungs vom Alpinismus auf extremem Level bewusst: “Wenn ich da weiter mache, dann geht das irgendwann schief.” Er sollte auf traurige Weise Recht behalten.

Die winterliche Fußstein-Nordkante, eine von Lamas Lieblingsrouten in seiner Tiroler Heimat, mit dem Fernglas aus dem Stubaital aufgenommen.

3 thoughts on “Extremer Alpinismus als Glücksspiel und Flucht

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