»Irgendwann geht das schief« – Interview mit Ueli Steck

Vor ziemlich genau einem Jahr hatte ich das Glück, Ueli Steck für ein Interview, das in ALPIN 3/2014 erschienen ist, zu seinen Erlebnissen im Himalaya befragen zu können. Damals war er gerade frisch von seiner Solo-Begehung der Annapurna Südwand (in 28 Stunden) zurück gekommen. Ein paar Wochen zuvor hatte er schon  in einer fantastischen Zeit von 16 Stunden den Mont Blanc von Courmayeur aus Richtung Chamonix über den kompletten Peuterey-Grat (“Peuterey Intégral”) überschritten. Welchen Stellenwert diese Begehung in seiner Karriere hatte und was sie für seine Zukunft bedeuten, über das Medienecho nach dem Sherpa-Streit am Everest und die Bedeutung des großen Risikos bei seinen Touren und sein zukünftiger Umgang damit, darüber gab er Auskunft, ebenso wie über den Druck von Sponsoren.

 

Im Mai 2013 gab es diesen Vorfall am Everest, bei dem einige aufgebrachte Sherpas dich und deinen Seilpartner Simone Moro körperlich angegriffen und mit dem Tod bedroht haben. In den Medien wurde das kontrovers diskutiert und du wurdest sehr kritisiert.

Einige Wochen später hast du den kompletten Peuterey-Grat am Mont Blanc (Peuterey Integral) bestiegen, auch in neuer Rekord-Zeit. Auf deiner Homepage war die Beschreibung eher witzig gehalten und von understatement geprägt. Aber ein kleiner Paukenschlag war diese Begehung ja schon. Wolltest du damit auch zeigen, dass es dich noch gibt und dass du dich nicht unterkriegen lässt von den schlechten Erfahrungen und von der negativen Presse, die nach dem Everest-Vorfall herrschte?

 

Nein, absolut nicht, ich war da einfach Bergsteigen und hatte einen fantastischen Tag.Ueli Steck

Außerdem wird in letzter Zeit alles auf diese Rekordzeiten reduziert!

Aber ob man da 16 Stunden oder 17 Stunden braucht ändert eigentlich nicht viel. Es hängt ja immer auch von den Bedingungen ab. Deshalb wollte ich nicht, dass es wieder so um diese Rekordjagd geht und habe es ein bisschen runtergespielt.

Es war für mich auch nicht entscheidend, diesen Rekord zu machen. Für mich war das wichtigste: in Courmayeur starten, über den Peuterey und wieder auf der anderen Seite ins Tal runter – wenn’s geht in einem Tag. Das ist großartig und ich hatte einen der besten Tage in meinem Leben.

Aber ich kann dir auch ehrlich sagen: nach dem Everest hatte ich keine Lust mehr mit irgendjemandem zu sprechen! Und die Annapurna-Sache hätte ich am liebsten auch einfach abgeschlossen und niemandem etwas gesagt. Aber das Problem ist, ich kann mich ja auch nicht verstecken. Ich bin ja gesponsort, ich muss eine gewisse Kommunikation bringen.

 

Wie war denn die Rückmeldung von deinen Sponsoren? Hast du von ihnen einen gewissen Druck verspürt, zu kommunizieren oder wieder neue Projekte anzugehen?

 

Also diesen Druck – das müssen wir nicht schön reden – der ist da! Wenn du die Sponsoren willst, dann hast du einen gewissen Druck und irgendwas musst du leisten, sonst gibt es bei den nächsten Vertragsverhandlungen keinen Vertrag mehr. Und ich muss die Sponsoren schon oft auch bremsen. Das ist klar, dass die sofort was sehen wollen. Da redest du mit Marketing-Leuten, die können sich nicht in den Sportler reinversetzen. Und man muss schon aufpassen als Athlet. Aber ich habe auch nie den Fall gehabt, dass irgendein Sponsor sagt, ich müsste jetzt wieder mal was bestimmtes machen.

 

Wie war das nach der Rückkehr vom Everest? Bist du dann irgendwann auch erstmals mit der ganzen negativen, teilweise ja sogar falschen und beleidigenden Presse konfrontiert worden oder hast du eher versucht, alles was Medien angeht, zu vermeiden?

 

Das war einfach zuviel! Man muss sich das vorstellen – die Journalisten klopfen morgens um acht an die Tür und wollen ein Interview. Aber ich habe eigentlich absolut keine Lust mehr mit denen zu reden. Viele Leute kriegen einfach kein Interview mehr. Die warten ja nur darauf dich zu kritisieren. Das geht in eine so falsche Richtung! Jeder probiert irgendwo ein Haar in der Suppe zu finden! Und von daher hatte ich eigentlich gar keine Lust mehr. Ich habe ernsthaft überlegt das Ganze hinzuschmeißen, nur noch für mich bergsteigen zu gehen und fertig, basta. Dann kann ich machen, was ich will. Und das kann ich gerade nicht mehr.

 

Dein Statement zu den Ereignissen am Everest auf deiner Homepage zeugte von großer Enttäuschung. Du sprachst davon, viel Vertrauen verloren zu haben. Ich kann mir vorstellen, dass du dann erstmal in ein großes Loch gefallen bist.

 

Ja, ich glaube sogar, das hat mein Leben verändert. Also die Enttäuschung ist immer noch da. Ich habe Mühe, mich auf Menschen einzulassen, seit dem Everest. Da verlierst du sehr viel Vertrauen. Das kriege ich auch nicht so schnell wieder zurück. Und wie ich danach diesen ganzen medialen Mechanismus gesehen habe und wie viele Leute sich in Szene werfen mit Sachen, von denen sie eigentlich keine Ahnung haben. Das hängt mir so zum Halse raus! Das werde ich nie mehr vergessen und das kann ich auch nicht mehr rückgängig machen. Aber für mich ist die Everest-Geschichte jetzt vorbei. Das ist passiert und damit muss ich leben.

 

Waren der Peuterey und die Annapurna ein Teil der Verarbeitung dieser Vorfälle? Wie sieht es jetzt in dir aus, vielleicht auch in Bezug zum Bergsteigen, deiner Profession überhaupt?

 

Wie gesagt, ich hatte den Spaß am Leben verloren und der ist noch nicht ganz zurück. Aber ich weiß eben auch, solche Tage wie am Peuterey oder Annapurna, das macht mir Spaß und da lebe ich voll auf. Und du hast ja gesehen, an der Annapurna habe ich nichts kommuniziert und das werde ich jetzt auch in Zukunft so machen. Und mich stattdessen nur noch auf das konzentrieren, was mir richtig viel Freude macht und das sind diese Tage in den Bergen.

Und eines weiß ich jetzt auch: Ich mache das für mich. Ich gehe nur noch Bergsteigen für mich alleine und jeder kann sich seine Meinung darüber bilden.

 

Du hattest dich dann auch relativ bald dazu entschlossen wieder nach Nepal zu fahren und einen 8000er zu probieren.

 

Annapurna hatte ich eigentlich schon lange vor, also das war geplant, auch wenn ich es mir offen gehalten habe.

Klar, gab es nach dem Everest Zweifel. Aber das Erlebnis am Peuterey hat mir gezeigt: das ist eigentlich das, was mir Spaß macht, das wo ich irgendwie zurück ins Leben komme. Wenn ich jetzt nicht mehr bergsteige, dann geht’s nur noch bachab, dann ist mein Leben vorbei. Ich muss ja auch etwas machen, was ich gern mache – das ist eben das Bergsteigen. Und Annapurna war schon lange ein Projekt.

 

Und hast du nach dem Everest oder vielleicht jetzt nach der Annapurna auch mit dem Gedanken gespielt, ähnlich früh wie etwa Walter Bonatti deine Karriere an den Nagel zu hängen?

 

Also nach dem Everest gab es schon mal so Gedanken, wie, “Ach, jetzt hab’ ich die Schnauze voll“.

Aber ich wusste auch, wenn ich in so einem Moment aufhöre, würde ich mir mein Leben lang Vorwürfe machen. Ich werde mir das noch überlegen müssen. Der Bonatti war für mich von dem her auch ein Idol – er hat gesagt: “Jetzt hab’ ich meinen Zenith erreicht und jetzt höre ich auf”.

 

Bewundernswert.

 

Das ist bewundernswert! Und ich denke das fehlt ein bisschen beim Bergsteigen. Denn es gibt viele Bergsteiger, die haben irgendwo einen Zenith und dann wird das einfach so künstlich weitergezogen. Das will ich auf jeden Fall vermeiden.

Bergsteigen ist ja nicht ein Wettkampfsport. Wenn du beim Hundertmeterlauf deine Leistung nicht mehr bringst, dann kommst du einfach nicht mehr ins Finale. Aber beim Bergsteigen kannst du halt immer noch irgendwelche Expeditionen als eine Wahnsinnstat verkaufen.

Nur, so eine Begehung wie am Annapurna, müssen wir offen sagen, das kann man nicht zehnmal machen, das überlebt man nicht. Bonatti wusste das haargenau, der hat sich in einem Bereich bewegt, wo er wusste: wenn ich da weitermache, dann geht das irgendwann schief.

Steve House hat das, denke ich, jetzt auch akzeptiert. Ich will ihm das zwar nicht in den Mund legen. Für seine Leistung 2005 am Nanga Parbat hat er viel gearbeitet und das war ein Riesen-Erfolg. Aber man muss eben auch akzeptieren, dass man sowas vielleicht einmal in der Karriere macht. Das muss man dann abschließen können und akzeptieren. Das kann man nicht immer weiter toppen, das geht einfach nicht.

Das ist auch genau der Punkt, wo ich jetzt aufpassen muss, wo ich irgendwie auch loslassen muss, weil das nicht immer so weiter geht und ich mich ja auch nicht mehr so sehr steigern kann. Das bedeutet womöglich auch, dass ich mich jetzt vielleicht nicht mehr in diesen Bereich vorwagen sollte, dass ich mich auch schützen will. Denn irgendwann geht das schief, wenn man sich wirklich in diesem Bereich bewegt.

 

 

2 thoughts on “»Irgendwann geht das schief« – Interview mit Ueli Steck

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