Der Bauwahn geht weiter

Kühtai – der Tiroler Ort mit dem seltsamen Namen ist Vorreiter in Sachen Alpenverbauung. Nachdem im Juni die letzte gerichtliche Instanz grünes Licht gegeben hat, wird nun das Tiroler Wasserkraftwerk Sellrain-Silz um einen dritten Stausee im Längental, einem naturnahen Seitental in Kühtai, erweitert. Auch einen neuen Lift bekommt der Ort am Gaiskogel, wo ein alter Schlepplift durch einen schicken neuen Sessellift ersetzt wird.

Baustellenblick – der entleerte Speicher unterhalb des Längentals im Mai

Kühtai – hier muss jeder Hang mindestens drei Lifte haben – ist eine wahre Perle unter den Schandflecken Tirols. Man mag sich ja leicht zynisch denken, die Bauwilligen sollten doch gerne einen bzw. zwei, drei ausgewählte Orte richtig verschandeln, so richtig zustellen mit Anlagen und dafür die anderen in Ruhe lassen. Leider geht diese Rechnung nicht auf. Ruhe ist überhaupt ein gutes Stichwort. Denn für den neuen Speichersee werden auch Fließgewässer im Ruhegebiet Stubaier Alpen angezapft, einem gesetzlich verfassten Schutzgebiet. Auch dort wird es Baustellen geben und den dazugehörigen Baulärm, was bis vor ein paar Jahren verboten war… also halt bis das Tiroler Naturschutzgesetz entsprechend geändert wurde, um den Bau durchführen zu können. In Tirol sind die Wege der Ski- und Seilbahn-Lenker in die Politik eben kurz. Und das Leben ist bekanntlich ein Geben und Nehmen, warum sollte die Politik davon ausgenommen sein?

Als gäbe es kein Morgen, bauen die Betreiber und Investoren. Hörige der Verwertungslogik, Getriebene technischer Machbarkeit. Ist gesteigerte Wertschöpfung allein das Motiv oder gibt es da noch mehr?
Aber natürlich, das öffentliche Interesse!

Der neue Lift am Ortseingang Kühtai

Und das Ziel des öffentlichen Interesses lautet – das weiß doch jedes Kind – Energie-Autonomie im Falle der Wasserkraftwerke und “nachhaltige Tourismuswirtschaft” im Falle des Skitourismus (wobei nachhaltig hier in der Regel heißt, dass auch zukünftig noch genügend für die übrig bleibt, die ohnehin am meisten von dieser Wertschöpfung profitieren).

Kraftwerk Sellrain-Silz

Vermutlich lag also auch die erwähnte Änderung des Tiroler Naturschutzgesetzes im öffentlichen Interesse. Jedenfalls argumentiert das Land mit dem öffentlichen Interesse an der Energiewende, Versorgungssicherheit und Energieautonomie. Das bedeutet, dass der Stromverbrauch bis zum Jahr 2050 nahezu halbiert und komplett mit erneuerbaren Energien gedeckt werden soll. Dafür sei auch der Ausbau der Wasserkraft unerlässlich.

Es ist bekannt, oder zumindest keine Überraschung, dass zwischen Naturschutz und Klimaschutz ein Dilemma besteht. Naturschutzverbände liefen Sturm gegen die Ausbaupläne, auch die Alpenvereine gaben dem Naturschutz den Vorzug. Über elf Jahre zog sich die Umweltverträglichkeitsprüfung. Doch die Zweifel an dem Krafwerksprojekt sind nicht nur ökologischer Natur, sondern auch aus energiewirtschaftlicher Sicht bestehen Bedenken, wie eine aufschlussreiche Recherche der Journalistin Theresa Girardi im Tiroler Medium 20er verdeutlicht.

Baustellenblick II – dort hinten wird dicht gemacht für den neuen Stausee

So wird dort etwa die Tiroler Umweltanwaltschaft zitiert: “Wir sehen die Anlagen als nur bedingt tauglich an. Der damit gewonnene energiewirtschaftliche Nutzen steht in keiner Relation zur Zerstörung des Längentals mit seinem hochsensiblen Biotop. Wenn schon ein ganzes Tal zerstört wird, sollte auch der energiewirtschaftlich maximale Output erzielt werden.” … “Die Frage ist, warum man mit einer ähnlichen Anlagenkonfiguration nicht wesentlich mehr Strom produzieren will. Geht es um jahrelange Großbaustellen oder geht es um eine optimierte Stromproduktion?”

Der Gutachter Jürgen Neubarth bestätigt, “dass man die geplante zusätzliche Leistung auch mit den bestehenden Speichern realisieren hätte können.” Er hält die Anlagenleistung für “viel zu gering in Relation zur angedachten Speichergröße” und fragt sich warum. Auch kommunikativ sei einiges schief gelaufen, findet Neubarth, da die vielbeschworene Strom-Autonomie schon gegeben sei.

Der bestehende Speicher unterhalb des Längentals in Kühtai im Mai

Vertrackte Interessenlage

Auf Nachfrage der Journalistin Theresa Girardi hieß es aus dem Büro des (gerne mal vulgär ausfällig werdenden) Energielandesrates Josef Geisler zum öffentlichen Interesse, dass verschiedene, teils widerstreitende Interessen eine Rolle spielten. Die Bevölkerung der Gemeinde Neustift im Stubaital hat das Projekt mit 85% abgelehnt, sich damit also gegen das öffentliche Interesse gewendet. Allerdings ist es auch deren Wasser, das abgezapft wird und der “Wilde Wasser Weg”, einer der touristischen Magnete des Stubaitals, lebt schließlich vom Durchfluss von Wasser.

Der Tiroler Wasserkraft (TIWAG) zufolge dient der produzierte Strom der Energieversorgung Tirols und dem Ziel der Energiewende. Tatsächlich existieren jedoch Verträge auch mit deutschen Stromanbietern, für die die durch Pumpspeicher erzeugte Ausgleichsenergie gewinnbringend verkauft werden kann, wie etwa Girardi im 20er schreibt. So bestehen sogenannte Cross-Border-Leasing-Verträge mit amerikanischen Firmen “für einen ideellen Minderheitsanteil an der Kraftwerksgruppe Sellrain-Silz”. Auf deutsch: die Anlagen wurden an Firmen in den USA verkauft und später zurückgemietet, wie der Blogger Markus Wilhelm öffentlich machte. “Die Verträge gestatten ausdrücklich Erweiterungen und Modifikationen”, räumte die TIWAG gegenüber dem 20er ein. Aber auch die Anlieger-Gemeinden profitieren von den zu entrichtenden Nutzungsgebühren, 600.000 Euro waren es etwa 2019 für die Gemeinde Silz.
Zudem musste das Büro des Tiroler Energielandesrates einräumen, dass Tirol seinen Strombedarf derzeit selbst decken kann. Doch diese Wahrheit wollte man der Öffentlichkeit wohl lieber nicht ganz so öffentlich zumuten. Das öffentliche Interesse geht immerhin vor.

Diesem natürlich verlaufenden Fließgewässer, dem Sulzbach im Fischleintal, einem Seitental des Ötztals, soll bis zu 80% des Wassers abgegraben werden.

In Anbetracht dessen mögen die folgenden, zwar leicht antiquierten Ausführungen von Günther Anders eine dennoch nicht ganz unzutreffende Analogie zu den Fließgewässer-Bändigern im Auftrag des Volkes, ihren Seilbahn-Clan-Vettern und den Alpin-Technokraten von Techno Alpin und Co. darstellen.

»In gewissem Sinne ähnelt das Mitrasen mit der Zeit … dem Mitrasen des Arbeiters mit seinem laufenden Band. Die heutigen Staatsmänner arbeiten gehetzt, um mitzukommen, am laufenden Band der Technikgeschichte. Und es ist durchaus keine Übertreibung, wenn man behauptet, daß der Taylorismus, der in seinen Anfängen nur eine spezielle und besonders profitable Form der Industriearbeit gewesen war, nunmehr zum Prinzip der Geschichte geworden ist. Das jeweilige Tempo des “Geschichtsbandes” sehen die Staatsmänner, nicht anders als die am wirklichen laufenden Bande Arbeitenden, als verbindlich an. Wenn sie Angst äußern, so nicht etwa die vor den unabsehbaren Folgen ihrer Aktionen … Nein, wenn sie überhaupt angstfähig sind, dann haben sie Angst davor, “geschichtlich zurückzubleiben”, wenn nicht sogar aus dem Betrieb der Welt und aus der Zahl jener, die Betracht kommen, das heißt: konkurrenzfähig sind, hinauszufliegen.«

Günther Anders, Die “Antiquiertheit der Geschichte”, in: Die Antiquiertheit des Menschen. 2. Band. Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution. C.H. Beck, München, 1980, S. 295f.

 

Auch den Inn abwärts herrscht geschäftiger Baubetrieb, z.B. in Tulfes am Glungezer, wo der obere Seilbahn-Abschnitt erneuert wird.

 

Zu Teil 2

One thought on “Der Bauwahn geht weiter

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